10 Jahre E-Commerce Entwicklung in 3 Monaten Corona 📈
Plus: Amazon verliert Marktanteile, MikMak hilft Marken E-Commerce besser zu verstehen
Hallo zusammen,
der Sommer ist da. Ich möchte meinem Ventilator danken. Er ermöglicht es trotz 35°C im Arbeitszimmer diesen Newsletter zu verfassen.
Zum Inhalt:
Quo vadis, Amazon? Corona macht E-Commerce bunter.
2019 war die Handelswelt geordnet. E-Commerce nahm einen größer werdenden Anteil des Handelsvolumen ein, die Entwicklung beschleunigte sich, der Wandel war aber absehbar.
Dann kam Corona und wirkte wie ein Brandbeschleuniger für bestehende Trends.
Der aktuelle Report “Retail Reimagined | Marketing & Sales” von McKinsey zeigt, dass E-Commerce in den letzten drei Monaten so stark gewachsen ist wie in den vergangenen 10 Jahren(!). Die genauen Zahlen unterscheiden sich von Studie zu Studie, unstrittig ist aber, dass Corona den E-Commerce massiv vorangebracht hat.
Wahrscheinlich ist auch, dass dieses neu gelernte Verhalten nicht temporär ist. Nicht alle Stationärkäufer, die nun online einkaufen (müssen), werden danach wieder stationär einkaufen. Ein paar werden, aber nicht alle.
Wer profitiert von diesem Wachstum?
Krisengewinner Amazon verliert Marktanteil in US
Die naheliegende Antwort scheint Amazon. Dazu schrieb ich im März:
Amazon wird als ein Profiteuer aus der Krise herausgehen. Die Nachfrage explodiert, nie war E-Commerce für die Gesellschaft so wichtig wie heute. E-Commerce Unternehmen versorgen viele Haushalte mit Haushaltsmaterialien, aber auch mit Möbeln, Spielzeug für die Kinder und die Playstation gegen die Langeweile. Und Amazon ist DER Onlineshop für bedarfsdeckende Einkäufe. […]
Amazon hat profitiert und wuchs in Q2 um 40%. Auch die Gewinne stiegen - trotz höhere Investitionen in Operations (Lager, Logistik, etc.). Der Börsenkurs explodiert, die Presse zeichnet ein positives Bild der Entwicklungen.
Umso überraschender: Amazon hat in den USA Marktanteil verloren. Konkurrenten wie Walmart & Target sind schneller gewachsen als der Gigant aus Seattle.
Its share of U.S. e-commerce fell to 38.5 percent in June from 42.1 percent in January, according to data from Rakuten Intelligence. In April, it hit a low of 34.2 percent. At the same time, Target’s share grew from 2.2 percent to 3.5 percent and Walmart’s grew from 4.2 percent to 5.0 percent.
Ist das eine temporäre Entwicklung getrieben durch geändertes Konsumverhalten - mehr Güter des täglichen Bedarfs werden online bestellt - oder gibt es zukünftig größere Gewinner im E-Commerce als Amazon?
Zwei Szenarien und mein Best Guess - das Thema für die heutige Analyse.
Das Bullen-Szenario: Amazon dominiert weiterhin
Der sinkende Marktanteil ist ein Ausreißer, begünstigt durch (a) den Lebensmittelhandel und (b) eine schwächelnde Logistik. Beides sind temporäre Probleme.
Lebenmittelhandel: Amazon hat Marktanteile v.a. verloren, weil der Lebensmittelhandel online stark gewachsen ist. Ein Bereich, in dem Walmart, Target & Costco aktuell besser aufgestellt sind und überproportional vom Wachstum profitieren können.
Online sales will increase 18% in 2020, according to eMarketer's forecast, and the biggest drivers of that growth are food & beverage. Online grocery sales will increase 58.5% this year. eMarketer analyst Andrew Lipsman said online grocery shopping "permanently catapulted three or four years into the future in just three or four months."
In den anderen Kernbereichen - wie Elektrogeräten, Büchern oder Home & Living - wird Amazon weiterhin dominieren. Anders kann ich mir nicht erklären, wie Amazon trotz verlorener Marktanteile 46% des gesamten E-Commerce Wachstums in den US übernehmen konnte.
Logistik: Zusätzlich hatte Amazon Anfang März Logistik-Probleme und konnte nicht mit der gewohnten Zuverlässigkeit liefern. Trotz der Einstellung von über 100.000 neuen Logistik-Mitarbeitern, erreichen auch heute einige Pakete nicht innerhalb von zwei Tagen die Prime Kunden. In den Anhörungen im Kongress sagte Jeff Bezos dazu:
“What I can tell you is that we had there was no playbook for this. We moved very quickly. Demand went through the roof, (and it) was like having a holiday selling season but in March, and we had to make a lot of decisions very rapidly.”
Zur Einordnung: Für die Weihnachtssaison wird das Inventar über 6 Monate hochgefahren, 3 Monate vor der Saison wird das Personal aufgestockt. Während Corona gab es nicht diese Vorbereitungszeit. (Mehr Details zur Amazon Logistik während Corona im guten Artikel in der Washington Post). Die Logistik-Probleme sind temporär, die Zustellungsdauer verbessert sich wieder.
Ausblick: Der Prime Day im September sollte Amazon wieder helfen, Marktanteile zurückzugewinnen. Zwei Gründe: (a) Kein Unternehmen kann so effizient Kunden gewinnen wie Amazon. (b) Kunden haben während Corona gezeigt, dass sie nicht loyal sind. Es ist nicht gesagt, dass sie den neuen Shops loyal bleiben.
Das Bären-Szenario: Primus inter pares
Durch operative Probleme hat Amazon seine Kunden enttäuscht, die sich nach Alternativen umsehen. Exemplarisch ist die Geschichte von Jade Wang:
Amazon has lost some customers like Jade Wang, who used to do almost all of her shopping on the site. She grew frustrated in March at the lack of basic items such as paper towels and disposable gloves and delayed or canceled orders.
So Wang, who lives in Austin, turned to Target, Office Depot, Chewy and AliExpress instead, as well as smaller online shops.
“At the beginning of the pandemic, it was item availability that drove me to other retailers,” said Wang, 36, who runs the start-up program at Cloudflare, a website security company. Four months later, she says, she is “relying a lot more on Target because their shipping is fast.” Plus, she can opt for same-day delivery.
n=1 ist niemals repräsentativ, aber die guten Quartals-Ergebnisse von Walmart, Target, Etsy und vielen SaaS-Anbietern für kleine und mittelständische Händler (KMU) zeigen das gestiegene Interesse an Alternativen - sowohl von Kunden als auch von Anbietern. Alle der genannten Unternehmen wuchsen schneller als Amazon.
Gerade das Wachstum der KMU finde ich relevant. Dieses Wachstum wird anhalten.
Mehr Shops: Viele Händler eröffnen (gezwungenermaßen) erstmals eigene Onlineshops. Wix.com - ein Baukasten-System für Webseiten und Shops - gewann während Corona 9,3 Mio. neue Kunden. Auch Shopify konnte bei neuen Shops zulegen.
Bestehende Shops verkaufen mehr: Die Kohorten von neuen Kunden entwickeln sich positiv. Sowohl Shopify als auch Wix.com verdienen immer mehr mit Shops, die in vorherigen Quartalen erstellt wurden (vgl. Grafik wix.com).
Diese Entwicklung deckt sich mit den Aussagen von Facebook, dass KMUs der Wachstumsmotor in Q2 waren. Dazu Mark Zuckerberg:
Our growth was primarily driven by small and medium sized businesses around the world, who leveraged our advertising platforms to connect with customers. As a result, we continue to see increased diversification among our advertiser base. In Q2, our top 100 advertisers represented 16% of our ad revenue, which is a lower percentage than a year ago.
Ausblick: Mehr Shops verkaufen online, mit teils individuellen Produkten. Es wird zunehmend leichter auf kleinem Niveau professionell E-Commerce zu betreiben. Gepaart mit effizienten Marketing-Kanälen werden kleine Shops einen größer werdenden Anteil am gesamten E-Commerce haben. Das gilt natürlich auch für die größeren Shops der 2. Reihe - Walmart, Target & Co.
My 2 cents - Bären und Bullen abhängig vom Sortiment
Wenn ich mir die Entwicklungen anschaue, dann glaube ich an folgendes:
Amazon wird seine dominante Position in den Kategorien behalten, die sie bereits beherrschen. Hier fehlt mir die Fantasie, dass die Konkurrenz Marktanteile in Elektronik, Haushalt, Büchern & Co. abnehmen können. Das Amazon Fly-Wheel ist zu mächtig, das Verhältnis von Kundenakquisitionskosten zu Umsatz besser als bei der Konkurrenz.
Walmart, Target & Costco werden weiter Marktanteile gewinnen, v.a. aber getrieben durch den Lebensmittelhandel. Hier sehe ich Amazon in der schlechteren Position. Vor einem Jahr schrieb ich zu Walmart vs. Amazon: “Amazon ist um seine Website mit zentralen Distributionszentren aufgebaut. Der Lebensmittelhandel ist um die Logistik von verderblichen Waren und dezentrale Läden aufgebaut. Ein fundamentaler Unterschied.” Anders als Amazon verfügen die oben genannten Marktteilnehmen bereits über eine massive dezentrale Logistik-Infrastuktur.
Der Anteil an KMUs und kleinen Marken wird steigen. Relevante Sortimente sind dabei besondere, emotionale Produkte. Shopify Gründer Tobi Lütke formulierte es schön: “Sachen, die man richtig haben will, die kommen viel eher von einem (kleinen) Händler.”
Zusammengefasst: Bären-Case für Lebensmittel und Non-Commodities, Bullen-Case für notwendige, einfache Produkte.
Wie seht Ihr die Entwicklung?
Leseempfehlung: MikMak - Marken in einer dezentralen Welt helfen
Durch einen Artikel im Forbes Magazin bin ich auf das Unternehmen MikMak aufmerksam geworden. Das Portrait des Unternehmens ist die heutige Leseempfehlung, passend zum Newsletter von Juli über die Direct-to-Customer (DTC) Aktivitäten von großen Marken.
A year before the phrase “social distancing” entered society’s vernacular, Rachel Tipograph—the founder of the e-commerce marketing startup MikMak—stood in front of her board of directors and made a prediction that in retrospect seems all too obvious: the future of e-commerce would be online grocery and liquor shopping.
At the beginning of 2019, grocery and alcohol sales were still mostly offline. By the second quarter, only around 2% of food and beverage sales were expected to occur online in 2019 before hitting 3% in 2022, according to eMarketer. From Tipograph’s view, there was room for disruption—and that was before Covid-19 had everyone shopping from home. […]
MikMak spent the rest of 2019 building out ways for marketers to use digital ad performance as a way to track e-commerce sales, launching new products in February just weeks before major cities around the world went into lockdown.
MikMak hilft Marken dabei die Verkäufe und Marketing-Aktivitäten ihrer Produkte auf diversen digitalen Plattformen zu verstehen, zu tracken und zu konsolidieren. Marken wie L’Oreal, Nestle oder Unilever arbeiten mit MikMak zusammen, um ihre Online-Strategien mit Daten besser unterfüttern zu können, gleichzeitig ihre Werbegelder zielgerichteter zu investieren.
Mir gefällt an der Geschichte, wie die Gründerin Tipograph das Unternehmen stetig weiterentwickelt hat, und wie es zu den aktuellen Entwicklungen einer dezentralen E-Commerce Landschaft passt. Leseempfehlung.
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Danke für den Support, einen tollen Tag - und natürlich: bleibt gesund!