#4: Ein Shopsystem im Dornröschenschlaf 🌹
Anmerkung: Dies ist Teil 2 einer Serie über Shopify und den deutschen Markt. In Teil 1 beschreibe ich die diversen Umsatzströme von Shopify und erläutere warum das Plattform-Modell sich fundamental von Aggregatoren (Marktplätze) unterscheidet. Teil 1 findet ihr hier.
Guten Morgen,
die letzte Ausgabe ist mit 1.800 Wörter etwas länger geworden. Das System Shopify hat einfach zu viele interessante Facetten. Auch der zweite Teil der Analyse ist länger geworden. Mea culpa! Um die 2.000 Worte-Grenze nicht zu überschreiten, gibt es heute keine Leseempfehlung. Versprochen: Nächste Ausgabe mit einer kurzen Analyse, dafür wieder mit Leseempfehlung.
Zum Inhalt:
Shopify (2/2) - Risiken, Nebenwirkungen und der deutsche Markt
Im letzten Newsletter habe ich Shopify vorgestellt: ein Shop-System, welches sich zum E-Commerce Betriebssystem für Marken und Entrepreneure entwickelt hat. Im Gegensatz zu Marktplätzen (z.B. Amazon) agiert Shopify als Plattform, auf der Partner gemeinsam wachsen können. Agenturen, Logistiker, Payment-Anbieter, Shopify - vor allem aber Shops, die eine eigene Kundenbeziehung aufbauen. Ein 41 Mrd. USD großer Wachstumskreis, der sich aktuell weiter beschleunigt.
Welche Faktoren können dazu führen, dass dieser Wachstumskreis durchbrochen wird? Welche Faktoren können dazu führen, dass sich der Wachstumskreis weiter beschleunigt. Ein Blick auf Shopify ist durch die Brille des deutschen Marktes.
Status Quo: Shopify in Deutschland
Shopify spielt in Deutschland bisher eine untergeordnete Rolle. Die Suchanfragen nach "Shopify" steigen laut Google Trends, liegen aber noch unter denen von Jimdo.
Builtwith gibt ca. 7.800 Shops in Deutschland aus, Jimdo & ePages sind um ein Vielfaches größer. Auch Shopsysteme für größere Shops sind mit Shopware & Magento verbreiteter.
Um das Potenzial von Shopify zu zeigen: im US-Markt gibt es 100x mehr Shops, bei einem Markt, der 4x größer ist. Shopify ist in Deutschland unterrepräsentiert, da ist Luft nach oben.
Branchen-Analyse nach Porter - Shopsysteme in Deutschland
Schauen wir auf die Wettbewerbssituation. Michael E. Porter beschäftigt sich seit vielen Jahrzehnten mit dem Wettbewerbsgedanken. Seine Überzeugung ist: Profitable Unternehmen erfüllen Kundenwünsche, ohne dabei unnötige Ressourcen zu verschwenden. Die Wettbewerber begrenzen die Profitabilität eines Unternehmens. Je intensiver der Wettbewerb in einer Branche ausgeprägt ist, desto geringer die Profitabilität.
Existierende Konkurrenz: Ausgeprägte Konkurrenz - Marken haben eine Vielzahl von Shopsystem zur Auswahl: Jimdo, ePages und Woo Commerce - um nur ein paar zu nennen. Jimdo und Woo Commerce kommen eher aus dem CMS-Richtung, ePages ist ein Veteran der deutschen E-Commerce-Szene. Magento, Oxid, Shopware, Spryker & Co. adressieren eine andere Zielgruppe.
Vieles, was Shopify einzigartig macht - Logistik, Shops & Payment aus einer Hand - ist derzeit dem US-Markt vorbehalten. In Deutschland ist das Ecosystem deutlich kleiner.
Potenzielle Konkurrenz: Ausgeprägte Konkurrenz - Die größte Konkurrenz für Shopify sehe ich bei den Marktplätzen. Allen voran Amazon, aber auch Zalando, OTTO & Co. Wird eine hohe Reichweite vom Händler zum Start wichtiger eingeschätzt, als die direkte Kundenbeziehung, sind Marktplätze die erste Anlaufstelle.
Ersatzprodukte: Gering - Verzicht auf einen Online-Kauf? Eher unwahrscheinlich!
Macht der Lieferanten: Schwach ausgeprägt- Der Shopify-Shop ist das Kernstück für Händler, aber ein Ecosystem aus Logistikern, Payment, Agenturen ist für den Markterfolg essentiell. Sobald es eine relevante Shopbasis von Shopify in Deutschland gibt, wird das Ecosystem wachsen. Exklusive Beziehungen zu bestimmten Shopsystemen machen für Logister & Payment-Anbieter keinen Sinn.
Macht der Abnehmer: Eher gering - natürlich ist Shopify auf Partner angewiesen, auf Marken, Händler & Entrepreneure. Durch den Fokus auf KMUs wird der Anteil eines einzelnen Händlers am Gesamtumsatz überschaubar sein. Zudem gehe ich von einer steigenden Anzahl von Shops aus, zumindest im KMU-Bereich. Die Macht der Abnehmer gegenüber Shopify ist schwach ausgeprägt.
Fazit
Händler & Marken können zwischen zahlreichen Anbietern für ihr Shopsystem wählen. Das Angebot, welches Shopify in den USA besonders macht, ist in Deutschland (noch) nicht stark ausgebaut.
Viele Händler starten nicht mit einem direkten Shop, sondern konzentrieren sich auf das Marktplatzgeschäft. Amazon & Co. sind die größten Konkurrenten für Shopify.
Die Macht der einzelnen Händler auf Shopify und die Macht der Lieferanten sind nicht stark ausgeprägt.
In Summe gleichen sich die Wettbewerbskräfte in etwa aus.
Wachstumshebel - Wie wird Shopify in Deutschland relevanter?
Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass Shopify auch in Deutschland ein relevanter Marktteilnehmer wird. Welche Hebel hat das Unternehmen aus Kanada?
Wachstumshebel 1: Fullfilment by Shopify
Auf der Unite-Konferenz Mitte Juli stellte Shopify eine Vielzahl von Updates bestehender Angebote und neue Tools vor. Das Unternehmen überarbeitete Shopify Plus, führte eine neue Point-of-Sale-Software ein, verbesserte seine Tools zur Kundenbindung und erweiterte seine Plattform um elf neue Sprachen.
Die wichtigste Ankündigung war jedoch die Einführung des Shopify Fulfillment Network. Das Unternehmen stellte ein Netzwerk von Fulfillment-Centern und intelligenten Bestandsmanagement-Tools vor, die Händlern helfen sollen, eine schnelle und kostengünstige Lieferung an ihre Kunden zu gewährleisten.
Shopify sagte hierzu auf der Unite Konferenz:
This is why we’re building Shopify Fulfillment Network—a geographically dispersed network of fulfillment centers with smart inventory-allocation technology. We use machine learning to predict the best places to store and ship your products, so they can get to your customers as fast as possible.
We’ve negotiated low rates with a growing network of warehouse and logistic providers, and then passed on those savings to you. We support multiple channels, custom packaging and branding, and returns and exchanges. And it’s all managed in Shopify.
Dieser Schritt ist smart, er passt zum Plattform-Thema. Es gibt eine Vielzahl von Logistikunternehmen (bekannt als "3PLs"), die Lager- und Speditionsdienstleistungen anbieten. Shopify tut das, was Plattformen am besten können: als Schnittstelle zwischen zwei modularisierten Teilen einer Wertschöpfungskette dienen.
Es macht Shopify attraktiver für mittelgroße Händler, die sich (a) nicht um eine eigene Logistik kümmern möchten, (b) gleichzeitig zu groß sind, um aus dem Wohnzimmer zu verschicken. Für diese Händler war Amazon durch FBA bisher die naheliegende Alternative.
Gleichzeitig erhöht Shopify den Lock-In für Kunden. Je höher der Komfort der gesamten E-Commerce Opertions, desto größer ist die Hürde zu wechseln. Ein Shop-System ist einfacher zu tauschen als Shop + Logistik.
Wachstumshebel 2: Echte Internationalisierung - Produkte für spezifische Märkte schaffen
Es ist noch heute zu erkennen, dass Shopify Shops mit Fokus auf den US-Markt entwickelt wurden. Die deutschen Lokalisierung hat durchaus Verbesserungspotenzial.
Einige Teile der Plattform sind noch auf Englisch, ich vermisse auch Apps, die speziell für Deutschland entwickelt wurden. In Blogs liest man von Workarounds, was angepasst werden muss, damit der Shop die Randbedingungen des deutschen Rechts erfüllt. Eine Hürde, die nicht jeder Einzelhändler zu nehmen bereit ist.
Die Agentur-Lobby ist im Vergleich zu anderen Shopsystemen klein (aber wachsend), ebenso wie lokale Marktplätze und Marketinginstrumente. Ich finde nur wenige Meetups zu Shopify in Deutschland, das Unternehmen scheint auch wenig auf Messen & Konferenzen präsent zu sein (außer DMEXCO).
Dass es anders geht, zeigt der niederländische Lebensmittelanbieter Picnic. Mit einem etablierten Modell startete das Unternehmen in Neuss, hat aber in Townhall Meetings gelernt, dass der deutsche Endverbraucher im Detail anders tickt. Die Verpackung wurde angepasst, das Sortiment leicht modifiziert und Picnic in Deutschland erfolgreich gestartet - nach allem, was ich höre.
Das Gute für Shopify ist: das sind lösbare Probleme sind - und Potenzial für viel Wachstum. Auch wenn das Ökosystem um Shopify herum klein ist, wächst es - und zwar schneller als bei ePages & Jimdo. Schöne Beispiele finden Sie im deutschen Blog.
Wachstumshebel 3: Eine Zuhause abseits der Marktplätze
Viele Marken werden heute direkt bei Amazon aufgebaut. Wenn die Marken wachsen, brauchen sie ein Zuhause fernab von Amazon. Das zeigen die Erfahrungen von Kavaj, Klarstein & Co. Wenn dieser Moment da ist, sollte Shopify der Kandidat Nr. 1 sein, der an der Haustür klingelt.
Risiken - Warum bleibt Shopify klein in Deutschland?
Was könnte einem Wachstum in Deutschland im Weg stehen, und wie wahrscheinlich ist dies.
Risiko 1: Kein Kundenzugang, Verfügbarkeit von Traffic
Einer meiner grundlegenden Überzeugungen: Die Rolle der Gatekeeper wird weiter wachsen. Google, Facebook & teilweise europäische Gesetzgebung machen es zunehmend unwahrscheinlicher, dass kurzfristig eine neue dominante Plattform auf den Markt kommt.
Storytelling über Produkte wird perspektivisch teurer, der organische Traffic nimmt ab. Dies zwingt Marken und Händler, kreativer zu sein. Ich vermute aber, dass dies für die Zielgruppe der Shopifys, KMUs und Marken, einfacher ist als für große Unternehmen.
Risiko: 40% - eine echte Gefahr, besonders für größere Geschäfte. Aber ich vertraue darauf, dass Marken ihr Publikum mit guten Geschichten erreichen.
Risiko 2: Große Händler verlassen die Plattform schneller als neue Händler die Plattform betreten.
Shopify kommuniziert keine Churn-Rate. Die Abwanderungsrate wird modellbedingt hoch sein, da die Wahrscheinlichkeit einer Geschäftsaufgabe bei kleineren Händlern höher ist. Die interessante Frage: Verlassen große Partner die Plattform, wenn sie eine bestimmte Größe erreichen?
Shopify Plus, die Enterprise-Level-Plattform des Unternehmens, steuerte 12,4 Mio. Euro. US-Dollar bei (26 % der MRR, im Vorjahresquartal waren es noch 23 %).
Der Umsatz mit der professionellen Lösung wächst schneller als die gesamte MRR, alle Kohorten verzeichnen steigende Umsätze. Zusätzliche Dienstleistungen richten sich v.a. an große Händler. Je besser die Dienstleistungen externer Dritter sind, desto weniger Anreize gibt es für einen Plattformwechsel. Shopify sollte zudem günstigere Konditionen haben als Amazon, die bei FBA & Co. schnell bei 35% liegen.
Risiko: 30% - ist rückläufig, da das Ökosystem weiter wächst und das Wissen über den professionellen Shopify-Handel weiter verbreitet ist.
Risiko 3: Geringe Verfügbarkeit von Händlern mit differenzierten Produkten
Ich habe keine Zahlen, vermute aber es gibt genügend Platz für hochpreisige, individuelle Produkte. Das scheint für Shopify ein natürlicher Fit zu sein.
Marken entstehen heute leichter als vor Jahren, Geschichten können über Social Media transportiert werden und gewinnen schnell an Traktion. Viele Influencer kreieren ihre eigenen Marken und Produkte und benötigen Erfüllungspartner.
Shopify könnte auch ein Partner für erste B2B-Aktivitäten kleiner Marken aus der Industrie sein. Bisher nicht im Fokus von Shopify, sondern in einem Schwellenland.
Risiko: 10% - Ich glaube, es gibt einen großen, immer noch wachsenden Markt für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland.
Fazit - Wachstum voraus
Branchenexperte Jochen Krisch und ich haben auf Twitter über den Wert von Shopify für den Handel gesprochen.
Wenn ich mir Shopify heute in Deutschland anschaue, dann gebe ich ihm recht: Shopify ist ein Shopsystem, welches mit teils fehlender Lokalisierung und ohne starke Lobby, mit etablierten Systemen konkurriert.
Wenn ich mir Shopify in den USA anschaue, dann beeindruckt mich das Unternehmen. Es stellt als Plattform eine Infrastruktur für den E-Commerce für KMUs bereit. Dieses Plattform-Modell halte ich für den vielversprechendsten Ansatz mit Amazon zu konkurrieren. Der Wert für den Handel ist durch (a) Shopify Fulfilment, (b) Shopify Capital und (c) Shopify Apps massiv. Es vereinfacht den Markteintritt deutlich.
Ich habe persönliche Präferenzen für einen Plattformansatz, der eine diverse Wettbewerbslandschaft fördert. Ich möchte nicht in einer Welt shoppen, die von einem Aggregator dominiert wird. Dafür müssen Händler unterstützt werden, um dem Kunden ein gutes, vergleichbares Kauferlebnis zu bieten. Hierbei kann Shopify ein Weg sein.
Wenn ich mir Shopify USA vs. Shopify Deutschland anschaue, sehe ich große Wachstumsmöglichkeiten - wenn lokale Märkte abseits der USA mehr in den Fokus geraten und auf die lokalen Bedürfnisse eingehen (Rechtsprechung, Datenschutz, Marketing-Kanäle, etc.).
Ich bin gespannt, was wir von dem kanadischen Unternehmen in den nächsten Jahres sehen.