#3: Goliath herausfordern - anders sein als Amazon 😎
Guten Morgen,
heute das zweiwöchentliche Update aus dem Zug von Köln nach Hamburg. Ich habe die letzten beiden Tage auf der DMEXCO verbracht: 60% Netzwerk, 20% Vertrieb, 20% Gespräche mit Technologieanbietern. Anstrengende Tage gehen zu Ende, gelohnt hat es sich aber.
Zum Inhalt:
Shopify - der andere Weg mit Amazon zu konkurrieren (1/2)
Früher habe ich den Hype um Shopify nicht verstanden. Shopify stellte Händler/Marken eine Infrastruktur bereit, um möglichst einfach einen eigenen Online-Shop betreiben und vermarkten zu können. So what! "Gab es damals mit ePages bereits.", sagen Kritiker - mich eingeschlossen.
Trotzdem ist Shopify der Darling der Börse und eilt von Umsatzrekord zu Umsatzrekord. Mitte August gab Shopify die aktuellen Quartalszahlen bekannt, und pulverisierte die Erwartungen der Analysen - wieder einmal. Die Finanzseite Motley Fool fasst das Quartal zusammen:
Der Anbieter von E-Commerce-Tools für Einzelhändler meldete einen Umsatz von 362 Mio. US-Dollar, ein Plus von 48 % gegenüber dem Vorjahr. Damit wurden die Schätzungen der Analysten von 350,5 Mio. US-Dollar und das obere Ende der Guidance des Managements, die bei 350 Mio. US-Dollar lag, deutlich übertroffen. Dies führte zu einem bereinigten Nettogewinn von 15,8 Mio. US-Dollar und einem bereinigten Gewinn pro Aktie von 0,14 US-Dollar, was die Erwartungen von 0,03 US-Dollar deutlich schlug.
Der Aktienkurs erreichte daraufhin einen neuen Höchststand, hat seit Anfang 2019 ein Wachstum von 160% hingelegt. Shopify zählt zu den erfolgreichsten Onlineaktien der letzten Jahre - noch vor Facebook, Google & Co.
Zeit für einen Blick hinter die Kulissen. Was sehen Analysten, was ich bisher nicht gesehen habe?
Vorweg: Die Größe von Shopify, das Wachstum und die Entwicklungsperspektiven haben mich umgehauen! Ich habe angefangen zu schreiben, und es wurde lang und länger. Daher werde ich die Betrachtung auf zwei Newsletter aufteilen, das Fazit gibt es erst in zwei Wochen. Sorry!
Die Geschäftsfelder von Shopify - wo kommt der Umsatz her?
Platt gesagt: Shopify stellt Händlern eine Infrastruktur für den E-Commerce zur Verfügung. Die Kern-Zielgruppe sind Marken und Entrepreneure, eher kleine und mittelständische Händler. Shopify schreibt in der Selbstdarstellung:
Wir konzentrieren uns darauf, den Handel für alle besser zu machen. Denn Händler und Unternehmen sollen ihre Energie in das stecken, was sie am besten können: den Aufbau ihres Geschäfts und den Verkauf ihrer Produkte. Heute managen Händler über unsere Plattform alle Aspekte ihres Geschäfts – von Produkten über Bestellungen bis hin zu Kunden, mit Verkäufen online, in Ladengeschäften und unterwegs.
Die Umsätze kommen aus zwei Bereichen: (a) Abonnentenlösungen und (b) Merchant Solutions.
Abonnentenlösungen: Abhängig vom gewählten Plan zahlen Shop-Betreiber eine monatliche Gebühr (MRR). Daneben profitiert Shopify von (a) verkauften Apps, die Shopify um Funktionen erweitern, (b) verkauften Themes für ein individuelles Layout des Shops und (c) der Registrierung von eigenen Domainnamen.
In 2018 stieg der Umsatz mit Abonnementlösungen auf 153 Mio. US-Dollar, 38 % mehr als im Vorjahr. Dies wurde durch eine große Anzahl von Händlern getrieben, die sich in diesem Quartal der Plattform neu angeschlossen haben.
Für mich noch überraschender: Shopify Plus, die Enterprise-Level-Plattform des Unternehmens für große Shops, steuerte 26 % der MRR bei, im Vorjahresquartal waren es noch 23 %. Ergo: Shopify schafft es nicht nur große Händler zu halten, sondern gemeinsam mit diesen überproportional stark zu wachsen.
Merchant Solutions: Merchant Solutions erweitern das Abonnement um Payment Services (Shopify Payment), Logistik (Shopify Shipping) und Waren-Vorfinanzierung (Shopify Capital). Quasi der Operations-Teil im E-Commerce. 2 von 3 Händlern nutzen Shopify Payment, und machen die Merchant Solutions damit zu einem Umsatztreiber. Shopify erreicht im letzten Quartal durch die Dienste 208,9 Mio. US-Dollar, 56 % mehr als im Vorjahresquartal.
Spannender als die Erlösströme ist aber die schiere Größe, die Shopify als Plattform erreicht hat. Nur drei Zahlen:
820.000 Händler verkaufen inzwischen über Shopify
In 2018 setzen Shopify-Händler mehr als 41 Mrd. USD um. Damit wäre ein "zentraler" Shopify-Onlineshop #3 in den USA - nur Amazon & Walmart sind größer.
2019 wird die Zahl noch deutlich drüber liegen. Allein in Q2/2019 setzen Shopify-Händler mehr als 13,8 Mrd. USD um, ein Wachstum von 51% zum Vorjahresquartal.
Absolut beeindruckend!
Shopify ist anders - Plattform vs. Aggregator
Vor zwei Wochen habe ich über Walmart geschrieben, und wie es dem Unternehmen trotz hoher Investments nicht gelingt die Lücke zu Amazon im E-Commerce zu schließen. Im Gegenteil, sie wird immer größer. Das Problem: Walmart probiert Amazon in dem Spiel zu schlagen, das Amazon erfunden und perfektioniert hat. Nämlich mit einem großen Sortiment und einer zentralen Logistik-Infrastruktur Produkte zu einem guten Preis zum Kunden bringen. Dieses Vorhaben ist ... herausfordernd!
Ähnliches sehe ich im Bereich Marktplätze. Viele Händler möchten Marktplatz werden, möchten dem Vorbild Amazon blind nacheifern. Und wieder: sie probieren Amazon in einem Spiel zu schlagen, welches Amazon erfunden und perfektioniert hat.
Warum das Thema nicht anders angehen? Als Plattform und nicht als Aggregator wie es Amazon tut. Ben Thompson beschreibt dies in seinem Artikel "Shopify and the power of platforms".
Amazon, DAS Beispiel für einen Marktplatz, ist ein Aggregator. Als solcher integriert das Unternehmen Händler derart in seine Plattform, dass der Kunden die Partner kaum wahrnimmt. Der Kunde kauft bei Amazon, zahlt bei Amazon, und erhält die Ware in einem Amazon-Paket. Dass die Arbeit im Hintergrund von externen Partnern erledigt wurde, ist weitgehend intransparent. Solange Amazon das Sortiment zu einem kundenfreundlichen Preis anbieten kann, ist es dem E-Commerce Giganten relativ egal welcher Händler sich um die Abwicklung kümmert. Der Netzwerk-Effekt wird internalisiert. Dritthändler sind austauschbar, der Preiskampf durch Konkurrenz am Produkt ist ein Spiel ohne Sieger. Langfristig kann dies nicht im Interesse der Händlern sein, das sagt zumindest die Spieltheorie.
Anders Plattformen, die Händlern ermöglichen einen eigenen Kundenzugang aufzubauen und den Netzwerk-Effekt externalisieren. Ein Ecosystem entsteht, vom dem alle Partner profitieren. Ben Thompson beschreibt den Unterschied zwischen einer Plattform und einem Aggregator:
This is ultimately the most important distinction between platforms and Aggregators: platforms are powerful because they facilitate a relationship between 3rd-party suppliers and end users; Aggregators, on the other hand, intermediate and control it.
Shopify ist diese Plattform im E-Commerce. Das Unternehmen aus Kanada interagiert nicht direkt mit dem Kunden. Aber: 820.000 Dritthändler nutzen die Infrastruktur von Shopify und sind selber dafür verantwortlich eine Kundenbeziehung aufzubauen. Über 218 Millionen Personen kauften Produkte von Shopify-Händlern. Die Aufgabe der Händler ist es die Aufmerksamkeit des Kunden durch differenzierte Produkte zu schaffen, nicht durch Amazon-SEO oder den günstigsten Preis.
Shopify möchte, dass die Händler erfolgreich sind. Den größten Teil der Wertschöpfung geben sie an die Partner des Ecosystems weiter. Im Fall von Shopify sind das neben Händlern (a) Referral Partner, Theme Designer und eine gesamte Agentur-Landschaft (Abonnement-Lösungen) sowie (b) Logistiker und Payment-Provider (Merchant Solutions). Harley Finkelstein, COO von Shopify sagte dazu auf der eigenen Konferenz Unite:
You’ve often heard me say that we at Shopify want to create more value for your partners than we capture for ourselves, and I find the best way to demonstrate this is by looking at what I call the “Partner Economy”. The “Partner Economy” is the amount of revenue that flows to all of you our partners…in 2018 Shopify made about a billion dollars [Editor: in revenue]. We estimate that you, our partners, made more than $1.2 billion.
Shopify möchte das Interface zwischen verschiedenen Parteien der Plattform sein, zwischen Shops und Fulfillment-Anbietern, zwischen Shops und Designern, zwischen Shops und Payment-Anbietern, zwischen Shops und App-Anbietern.
(Grafik von Stratechery)
In den einzelnen Modulen gibt es Konkurrenz der Dritt-Anbietern untereinander, was am Ende zu einem besseren E-Commerce-Produkt für den Händler führt. Das wiederum macht die Plattform Shopify attraktiver, und macht den Kuchen für alle Parteien größer.
Ist anders besser?
Bisher habe ich dargelegt, dass Shopify mit seinem Ansatz erfolgreich ist, diverse Erlösströme besitzt, stark wächst und als Plattform über einen Feedback-Loop verfügt, der anders aussieht als der Feedback-Loop von Marktplätzen. Dieser Feedback-Loop ist per se nicht besser oder schlechter, er ist anders.
Es greift zu kurz, Shopify nur als Online-Shop-System zu sehen, der anfangs erwähnte Vergleich zu ePages hinkt. Durch eine starken Ausbau des Bereich Merchant Solutions, v.a. im Bereich Logistik, ist Shopify eher als Betriebssystem des E-Commerce zu sehen.
Im zweiten Teil dieses Artikels möchte ich auf die Zukunftsfähigkeit dieses Feedback-Loops und der Plattform Shopify eingehen. Welche Wachstumshebel gibt es, welche Risiken sehe ich. Und ich möchte eine Antwort auf die Frage nach dem "Mehrwert für den Handel" geben.
Leseempfehlung: Waterstones - stationäre Buchhändler anders gedacht.
Den Artikel "Can Britain’s Top Bookseller Save Barnes & Noble?" habe ich leider erst nach “Redaktionsschluss” für den letzten Newsletter gelesen. Er hätte inhaltlich aber gut gepasst. Es geht darum, wie sich der stationäre Buchhandel auf seine Stärken besinnt, nicht blind digitalen Geschäftsmodellen nacheifert, und wieder wettbewerbsfähig wird.
In dem Artikel der New York Times wird Mr. James Daunt portraitiert, der die britische Buchkette Waterstones vor dem Bankrott rettete und dieses Kunststück nun bei der US-Kette Barnes & Nobles wiederholen soll.
2011, Mr. Daunt übernimmt die Aufgabe als CEO bei Waterstones und stellt alles auf den Prüfstand. Details wie die Ausrichtung von Buchregalen standen ebenso zur Diskussion wie das generelle Geschäftsmodell. Aus einer austauschbaren Buchladenkette sollte eine Kette von "unabhängigen" Buchläden werden. Im Artikel heißt es:
The changes have filled Waterstones’ 289 shops, mostly in Britain, with books that customers actually want to buy, as opposed to the ones that publishers are eager to sell. And store managers have been given plenty of leeway to transform their shops into places that feel personally curated and decidedly uncorporate.
Es klingt trivial, die Umsetzung ist doch so schwer. Wann macht eine Zentralisierung Sinn, wann nicht? Ein zentraler Einkauf von Büchern klingt sinnvoll, eine zentrale Bestückung von allen Läden mit denselben Büchern nicht.
James Daunt glaubt, dass mehr Bücher verkauft werden, wenn sich der Kunde im Buchladen wohl fühlt:
The company has largely persisted by selling the pleasure of bookstores first and books second. Because if a store is charming and addictive enough, goes Mr. Daunt’s theory, buying a book there isn’t just more pleasant. The book itself is better than the same book bought online. “It just is,” he said. “You’ll enjoy it more. You’ll read it quicker. You chose it with your own eyes, your hands, your ears. Now it’s all about anticipation. If you buy a book from Amazon, there’s a little anticipation as you rip the tag off the envelope. But it’s generally slightly flat and disappointing.”
Die Anpassungen bei Waterstones waren erfolgreich. Eine totgesagte Buchkette, die in einer Amazon-Welt aus der Zeit gefallen schien, ist seit 2015 wieder profitabel. Der Umsatz liegt laut eigener Aussage bei 500 Mio. USD, die Ergebnismarge bei 10%.
Ich wünsche Mr. Daunt viel Erfolg bei Barnes & Nobel und finde die Geschichte inspirierend für kleine stationäre Einzelhändler, wie auch für Buchketten. Leseempfehlung!