Hallo zusammen,
heute ist ein wenig E-Commerce Theorie: SaaS-enabled Marketplace (SEM). Klingt erst einmal wie Buzzword-Bingo und nerdy. Es ist aber ein Konzept, welches ich schon länger besser verstehen wollte. Kudos für die Grundgedanken an Turner Novak (guter Twitter-Feed), Point Nine und NfX.
Zum Inhalt:
SaaS-enabled Marketplaces - das beste aus zwei Welten
Dieser Tweet von Turner Novak hat mich zum Nachdenken angeregt.
Turner meint Unternehmen, die (a) Marktplätze betreiben und (b) gleichzeitig einen SaaS-Service anbieten, mit dem Verkäufer des Marktplatzes ihr Geschäft digital abbilden können. Im folgenden Artikel werde ich dieses Modell SaaS-enabled Marketplaces (SEM) nennen.
Ein Beispiel: Floom.
Das Unternehmen startete als Marktplatz, auf dem lokale Floristen ihre Blumen online verkaufen können. Die Gründer fanden dann heraus, dass ihre SaaS-Software Floomx das viel größere Potenzial bietet. Die Software erlaubte es Floristen den gesamten Geschäftsbetrieb digital abzubilden. Eine Schnittstelle zum Marktplatz Floom ist natürlich Bestandteil von FloomX. Der Marktplatz und das SaaS-Geschäft ergänzen sich ideal - beide Geschäfte bringen sich gegenseitig Leads.
Ein weiteres Beispiel: Treatwell.
Wer schon einmal online eine Massage gebucht hat, kennt vielleicht Treatwell. Über die App lassen sich einfach Termine in Bereichen Wellness und Beauty buchen. Alleine in Hamburg und Umland nehmen über 600 Salons teil.
Weniger bekannt ist, dass Treatwell diesen Salons auch eine passende SaaS anbietet. Neben Provisionen für Neukunden zahlen Salons auch eine monatliche Gebühr von 29€ bzw. 49€ und bekommen damit einen Service zur Verwaltung des Salons. Funktionen umfassen beispielsweise eine Terminverwaltung, Buchhaltung, Lagerverwaltung, Auswertungen, etc.
Für mehr Beispiele verweise ich auf Point Nine, die eine gute Übersicht über SEMs erstellt haben.
Erfolgskriterien für Saas-enabled Marketplaces
Ein Marktplatz tritt als Mittler zwischen Kunden und Händlern auf. Der Anbieter ist der Plattformbetreiber. Er stellt die Infrastruktur, stellt „Regeln“ für den Handel auf der Plattform auf und hat den Kundenzugang. Verdienen tut er u.a. an jeder Transaktion, die über die Plattform läuft. Beispiele für Marktplätze sind Poshmark, eBay, Uber, Patreon und LendingClub.
SaaS stellt eine Software in der Cloud bereit, mit denen bestimmte Unternehmens-Prozesse effizient abgebildet werden können. Die Software hat normalerweise non-marginal cost.
SaaS-enabeld Marktplätze kombinieren die Vorteile beider Elemente.
Sie haben den Netzwerk-Effekt von Marktplätzen - zumindest ab einer gewissen Größe. Gleichzeitig erlauben Marktplätze den Aufbau multipler Erlösströme.
Sie haben die hohen Brutto-Margen von SaaS-Software und bauen damit potente Geschäftskunden auf, die Anbieter oder Abnehmer auf dem Marktplatz sind. Die Software sollte aber auch Stand-alone wettbewerbsfähig sein.
Aber: dieses Modell aufzubauen ist alles andere als einfach!
Schon einen Marktplatz aufzubauen und die Liquidität herzustellen - also das Ausbalancieren von Angebot und Nachfrage - ist alles andere als einfach. Voraussetzung dafür ist eine hohe Technologie-Reife, die wiederum große Entwicklungsteams voraussetzt. Dazu kommen die Herausforderungen beim Auffbau eines SaaS-Business: lange Sales-Zyklen, Churn und meist hohe Konkurrenz.
In meinen Augen müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein, dass SEM entstehen können.
Von SaaS zum Marktplatz oder umgekehrt: Ich glaube es ist schwer das Modell SEM nativ aufzubauen. Die oben genannten Herausforderungen gleichzeitig erfolgreich anzugehen halte ich für fast ausgeschlossen.
Wahrscheinlicher ist, dass ein SaaS-Geschäft igendwann eine kritische Größe an Kunden erreicht und diesen Service anbieten möchte (Beispiel: Atlassian mit einem Freelancer-Marktplatz).
Oder dass Marktplätze ihren Verkäufern Tools an die Hand geben möchten, damit diese besser verkaufen können. Die wenigsten Marktplätze schaffen es allerdings diese Tools auch stand-alone erfolgreich zu vermarkten.
Komplexe Services: Im letzten Jahrzehnt war die Tech-Branche besessen von (Arbeits-)Marktplätzen für schnelle Transaktionen einfacher Dienstleistungen. Unternehmen wie Uber, Lyft, Mechanical Turk, Thumbtack oder DoorDash vermittelten effizient einfache Dienstleistungen, deren Qualität objektiv beurteilt wird. Ihr Erfolg beruhte darauf, dass der Mensch zur Commodiy wurde - auf beiden Seiten des Marktplatzes war der Mensch nur Mittel zum Zweck.
In solchen Bereichen fallen mir keine sinnvollen Szenarien für SEM ein. Der Uber-Fahrer wird wahrscheinlich keine Zahlungsbereitschaft für eine Software zur Verwaltung des Autos haben.
SEMs brauchen Dienstleistungen mit einer höheren Wertschöpfungstiefe - wie Veranstaltungsplanung oder Hausumbauten. Diese Dienstleistungen sind schwerer objektiv zu beurteilen, die Zahlungsbereitschaft für die Dienstleistungen ist höher und Kundenbeziehungen zwischen Teilnehmern des Marktplatzes längerfristiger. Daher lohnt es sich für Anbieter in Software für effizientere Prozesse zu investieren.
Reife der Branche: SEMs entstehen v.a. in reifen Branchen, wo Konsumenten schon heute Anbieter primär digital finden und die Kontaktaufnahme digital abläuft. Professionelle Services, Immobilien oder Gesundheitsdienstleistungen sind ein solches Beispiel.
Je reifer eine Branche wird, desto wettbewerbsfähiger ist sie und desto größer ist der Druck auf die Anbieter, gute Leistungen zu erbringen. In solchen Umgebungen tauchen sehr oft Saas-enabled Marketplaces auf. Sie helfen Anbietern bessere Leistungen zu erbringen und ein Vorteil gegenüber der Konkurrenz zu haben.
Allerdings darf der Markt auch nicht einen zu hohen digitalen Reifegrad haben, wie wir am E-Commerce Beispiel sehen.
SaaS-enabled Marketplaces im E-Commerce?
Gibt es Beispiele für SEMs im E-Commerce? Mir fallen keine Beispiele ein!
Das liegt daran, dass der Online-Handel inzwischen so reif ist, dass eine Software schwer alle Anforderungen erfüllen kann. Es gibt Spezial-Software für alle möglichen Bereiche. Mit weiter steigender Komplexität durch das größer werdende Spielfeld ist diese Entwicklung auch nicht abzusehen.
Mir fällt nur ein Unternehmen an, welches diese Rolle einnehmen kann: Shopify.
Das Unternehmen stellt für Händler inzwischen ein breites Angebot von Services bereit. Vom Shop, über Payment, Logistik und bald auch Wholesale zum Einkauf von Produkten. Noch fehlt der Marktplatz, aber auch in dieser Richtung ist Shopify durch die Shop-App aktiv.
Next Level: Market networks
Wenn wir jetzt noch einen Schritt weiter gehen, dann landen wir bei Market Networks. Das Konzept geht auf James Currier von NfX zurück. SEMs werden hier noch durch die Komponenten Network ergänzt.
Netzwerke liefern Profile, die eine Person öffentlich darstellen und mit anderen Personen im Netzwerk kommunizieren lassen. Denkt an Facebook, Twitter, Goodreads und LinkedIn.
Ein Beispiel: HoneyBook.com, ein Market Network für die Event-Industrie.
Ein Veranstaltungsplaner erstellt ein Profil auf HoneyBook.com. Dieses Profil dient ihm als berufliche Heimat im Web (Network). Er verwendet den HoneyBook SaaS-Workflow, um Angebote mit eigener CI an Kunden zu senden und Verträge digital zu unterzeichnen. (SaaS)
Anschließend bindet der Veranstaltungsplaner andere Spezialisten ein, mit denen er in diesem Projekt zusammenarbeitet - wie Floristen und Fotografen. Sie haben ebenfalls Profile auf HoneyBook, und jeder kann sich mit einem Kunden zusammentun, sich gegenseitig Angebote schicken, Verträge unterzeichnen und von allen anderen bezahlt werden. (Marktplatz).
Market Networks haben einen noch höheren Burggraben, sind aber noch schwieriger aufzubauen. Zusätzliche Voraussetzungen für den Erfolg sind z.B.
dass unterschiedliche Berufe/Gewerke involiert sind
dass sich unterschiedliche Gewerke (gerne) gegenseitig empfehlen
Das schränkt die möglichen Branchen für Market Networks noch mehr ein. Vorstellen kann ich mir die Baubranche, Inneneinrichtung und teilweise Consulting.
Die Dekade der SEMs …
Ich finde das Konzept der SEMs und deren Erweiterung der Market Networks spannend und inspirierend. Wenn ich heute ein B2B-Unternehmen gründen würde, würde ich mir Gedanken machen, wie ich Marktplatz-Elemente mit SaaS-Software mixen kann.
Eine Voraussetzung für den Erfolg von SEMs ist ein reifer Digitalmarkt. Dieser darf aber nicht zu reif sein - wie beispielsweise der E-Commerce Markt. Das trifft offensichtlich noch nicht auf alle Branchen zu. Ich gehe aber davon aus, dass alle Branchen irgendwann weitgehend digitalisiert sind. Damit werden wir in den nächsten Jahren noch viele SaaS-enabled marketplaces entstehen sehen.
Die Dekade der SEMs!
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Danke für den Support, einen tollen Tag - und natürlich: bleibt gesund!
Sehr spannender Post, danke fürs Teilen. Bin gespannt, was da noch auf uns zu kommt. Ich teile die Ansicht, dass diese Geschäftsmodelle aus Betreibersicht sehr attraktiv sind. Gleichzeitig erscheint es mir als "zu dahergezüchtet", also dass diese Modelle in Theorie oft perfekt wären in der Praxis aber extrem schwierig umzusetzen sind.