Guten Morgen,
das neue Format “🍿 am Freitag” hat eine erfolgreiche Premiere gefeiert. Die Öffnungsraten sahen trotz Brückentag gut aus, das Feedback war weitgehend positiv.
Ich werde probieren zweiwöchentlich den ergänzenden Newsletter rausschicken. Die Analysen bleiben aber Kern von Commerce Operations. Weiteres Feedback zum Format ist weiterhin sehr willkommen.
Zum Inhalt:
LVMH - Ein schlafender Luxus-Gigant
2019: Das Internet sei “ein hervorragendes Tool, um Milch oder eine Jeans zu kaufen”, zum Verkauf einer Patek Philippe eigne es sich aber nicht, sagte Thierry Stern 2019 in einem Interview. Er ist Präsident einer der gefragtesten Uhrenmarken der Welt.
2020: Während Corona dürfen Händler erstmalig Uhren von Patek Philippe online vertreiben.
Zeiten ändern sich. Patek Philippe ist mit dieser Entwicklung nicht alleine. Experten gehen davon aus, dass 2025 jeder vierte Euro für Luxusgüter online ausgegeben wird. Marken müssen sich zunehmend mit einem Zugang zum Onlinekunden beschäftigen, sagt mein Kollege Stephan Luther, Geschäftsführer der Beratung eTribes.
Aus Onlinesicht finde ich die Produktgruppe interessant, da die E-Commerce Erfolgsformel "Großes Angebot, guter Preis, hohe Verfügbarkeit" nicht funktioniert. Im Gegenteil: Preisstabilität und Verknappung sind elementar für Luxusgüter.
Wie also sieht eine nachhaltige Digitalstrategie für Luxus-Produkte aus?
Joel, Alex und Jochen haben im E-Commerce Crossover #20 den Luxusmarkt näher angeschaut. Dort möchte ich ansetzen, und die Digital-Aktivitäten von LVMH unter die Lupe nehmen.
LVMH - Weltführer im hochprofitablem Luxus-Segment
Die weltgrößten Luxus-Unternehmen beobachte ich schon länger. Seit 1987 hat LVMH unter der cleveren Führung von Bernard Arnault ein House of Brands aufgebaut, eine Sammlung der begehrtesten Marken der Welt unter einem Dach, vereint durch eine gemeinsame Philosophie.
Mit mehr als 70 Luxus-Marken ist LVMH in den fünf Geschäftsbereichen Mode, Uhren, Parfum, Luxus-Retail und Getränke (Weine und Spirituosen) tätig. Das Unternehmen entstand 1987 aus einem Zusammenschluss aus Louis Vuitton und Moët Hennessy. Daneben gehören zur Gruppe: Dom Pérignon, Rimowa, Bulgari, Céline, Dior, Kenzo, Givenchy, Loewe, Sephora, TAG Heuer und viele weitere.
Die Umsätze kommen v.a. aus den Bereichen Mode, Luxus-Retail und Parfum.
Mittlerweile sind für LVMH 163.000 Angestellte tätig und sie erwirtschaften einen Umsatz in Höhe von 54 Mrd. EUR. Das Unternehmen ist hochprofitabel.
Status Quo im E-Commerce - einheitliche Handschrift fehlt
Lvmh's e-commerce group grew by 30%. It now touches almost 4 billion euros.
(CEO Bernard Arnault, 2019)
Schon 2000 startet eluxury.com. Die Seite führte allerdings ein Schattendasein und wurde 2009 eingestellt. 2015 wurde Ian Rogers von Apple Music als CDO geholt, verschiedene Initiativen wurden seitdem gestartet:
Marktplatz: Unter 24s.com betreibt LVMH einen Marktplatz, auf dem Eigenmarken wie auch Drittmarken verkauft werden. Die Kundenbewertungen lesen sich gemischt.
Onlineshops: Die meisten der großen Marken haben inzwischen einen eigenen Online Shop, so Louis Vuitton, Fendi oder Givenchy. Keiner der Shops fällt besonders positiv oder negativ auf, solide Shops halt - mal mit einer guten Usabily, mal mit einer schlechten Usability.
Marktplatz: Viele Marken verkaufen über spezialisierte Marktplätzen/Shops wie farfetch, mytheresa, yoox oder Gilt.
Aggregatoren: LVMH ist bei Lyst investiert, einem Aggegator für Luxusmode aus UK. Allerdings arbeitet nur 24s mit Lyst zusammen, die anderen Marken listen ihre Produkte nicht beim Aggregator.
Trotz dieses scheinbar umfangreiche E-Commerce Portfolio: LVMH hinkt online hinterher. Konkurrenten wie farfetch.com wachsen deutlich dynamischer und setzen online den Ton.
Im letzten Geschäftsbericht wurde kaum auf eine digitale Strategie eingegangen, konkrete Zahlen zu Online-Aktivitäten gibt es nicht. Der CEO erwähnt "digital" oder "E-Commerce" mit keinem Wort. Selbst der Marktplatz 24s.com, wahrscheinlich ein Herzstück der Online-Strategie, wird nur in einem Nebensatz erwähnt.
Eine einheitliche Digitalstrategie bei den Marken kann ich nicht erkennen.
Nicht einmal alle Marken verkaufen über den eigenen Marktplatz 24s.com.
Jede Marke verkauft über andere Dritt-Plattformen.
Der Software-Stack ist divers - von Eigenentwicklung bei 24s.com, über Oracle Commerce bei LVMH, Magento bei Hublot und einige Instanzen der Salesforce Commerce Cloud.
Eric Goguey, CEO 24s.com, probiert den späten Markteintritt in den E-Commerce positiv zu verkaufen:
We entered the market quite late, in 2017, when our competitors had been around for almost 20 years, but there’s one advantage to arriving late because in terms of technology you can be more agile. [...]
The other good thing arriving late is that our customers already buy their groceries or other stuff online because we entered the market at this stage so our mission is not to turn customers who didn’t purchase online into online shoppers; they already are,” adds Goguey.
Ja, ein später Start auf der grünen Wiese erlaubt eine höhere technologische Flexibilität. Aber dann muss man Vollgas geben, um den Vorsprung der Konkurrenten aufzuholen.
Das sehe ich bei 24s.com nicht.
Farfetch hat 20x mehr Traffic, myTheresa 4x mehr Traffic. Das Gap beim Traffic scheint nicht kleiner zu werden.
Gefangen in der eigenen Denkweise
Die spannende Frage: wo klemmt das Gaspedal bei einem Konzern, der vieles mitbringt: tolle Marken, Fokus auf Mitarbeiter, Cash und mediales Interesse an seinen Produkten?
Tricky: Was LVMH erfolgreich gemacht hat, hindert sie daran, im E-Commerce richtig durchzustarten.
Dies ist das Wertesystem von LVMH, eigens vom CEO geprägt:
Problem 1: LVMH ist dezentralisiert. Diese Dezentralität scheint sich auch im E-Commerce durch alle Marken zu ziehen, angefangen beim heterogenen Tech-Stack.
Was für die Produktentwicklung sinnvoll erscheint, ist online ein Problem. E-Commerce ist komplex, und wird zunehmend komplexer. Fachpersonal ist ebenfalls rar.
Macht es nicht mehr Sinn digitales Knowhow zu zentralisieren, die Marken auf einen gemeinsamen Tech-Stack und gemeinsame Operations (Logistik, etc.) zu ziehen und die Differenzierung über (a) online aufbereiteten Content und (b) individuelle digitale Services zu suchen?
Problem 2: Bei LVMH werden keine Kompromisse bezüglich Qualität gemacht. Im E-Commerce hemmt Perfektionismus, verhindert Experimente. Sei es bei der Entwicklung neuer Features oder bei möglichen Kooperationen mit Dritten.
Diese Experimente sind allerdings notwendig, um das Wachstum zu beschleunigen, um intern mehr Fokus und Ressourcen für das Thema E-Commerce zu bekommen.
Die "perfekte" Denkweise findet sich auch in einigen Zitaten des Führungspersonals wieder.
However, online sales must always reflect «the quality approach of our company», underlined Arnault, «and remain consistent with our quality level, avoiding the Grey market (Louis Vuitton, for example, never makes sales) and inappropriate channels; on the net the criteria must be the same as in the shops».
Die positive Ausnahme - Sephora
Neben allen kritischen Punkten, möchte ich ein sehr positives Beispiel aus dem LVMH-Universum nicht verheimlichen: Sephora.
Die Beauty-Marke hat es über die vergangenen Jahre exzellent geschafft (a) digitale Services und (b) das Erlebnis in den stationären Läden zu verknüpfen und wächst damit sehr dynamisch. 45% der US-Umsätze von LVMH kommen von Sephora.
Über die App können zielgerichtet Promotions ausgespielt werden, wenn ein Kunde in die Nähe des Ladens kommt. Zusätzlich werden Produkte passend zum Hautton via AR empfohlen. Und das sind nur zwei Beispiele.
Allerdings glaube ich, dass die Learnings von Sephora nicht 1:1 auf andere Marken/Bereiche übersetzt werden können. Eine AR-App für Handtaschen macht wenig Sinn.
Fazit: Trotz toller Voraussetzungen fehlen (noch) die Ambitionen
Bei LVMH scheint E-Commerce immer noch eine untergeordnete Rolle zu spielen. Den Takt bestimmen im Moment Farfetch, Gilt & Co. Mir fehlen die ernst gemeinten Ambitionen.
Das ist schade, denn ich bewundere den Konzern, Bernard Arnault, die Marken und die Möglichkeiten, die LVMH auf dem Papier hat. Eigentlich eine coole Aufgabe für E-Commerce Enthusiasten. Mal schauen, was die nächsten Jahre bei LVMH bringen.
Leseempfehlung: Bookshop - ein Netzwerk für Bücher
Klein, aber fein. Die heutige Leseempfehlung “Bookshop, a new startup, is offering publications bigger kickbacks than Amazon (and the thrill of battling Bezos)” mit einer Erfolgsgeschichte aus der Nische.
Provisionen aus Produktempfehlungen sind für viele große Publikationen eine wichtige Erlösquelle. 2016 kaufte die New York Times für 30 Mio. USD die Produkttest-Website Wirecutter, um Produktempfehlungen besser zu monetarisieren.
Nur: ein Publisher-Geschäft via Buchempfehlungen aufzubauen ist herausfordernd. Amazon hat in den USA die Affiliate-Kommissionen zusammengestrichen, auch in Auslandsmärkten deuten sich diese Schritte an. Publisher tun gut daran, die Abhängigkeit von Amazon zu reduzieren.
Diese Lücke hat die Plattform Bookshop gesehen und ein Netzwerk für Buchverkäufe aufgebaut. In einer kooperativen Lösungen profitieren Publisher, lokale Buchshops - und natürlich Bookshop.
“We were relying on their social conscience to try to get them to link. We were totally unproven,” Hunter said. “In February, we sold $50,000 worth of books. We raised $10,000 for local bookstores. We thought that was a success — but that’s not going to mean a lot to a big company like Condé Nast. But now we’re selling almost $5 million worth of books a month.”
“That’s when it starts to become a really easy conversation because they don’t have to sacrifice revenue by linking to us,” Hunter said. “They get to feel good about themselves. They get to diversify the revenue. And they don’t have to take a financial hit because we’re able to deliver the sales that they want.”
Zu den Publishern zählen inzwischen The New Republic, BuzzFeed News, Vox, New York magazine, Outside und Longreads. Auch die New York Times nutzt Bookshop - parallel zu Amazon.
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Danke für den Support, einen tollen Tag - und natürlich: bleibt gesund!