Eigene Lieferflotten im E-Commerce - Sinn oder Unsinn?
Guten Morgen,
in Ausgabe #11 erstmals ein Logistik-Thema. Nicht mein Spezialgebiet, aber interessant und relevant allemal.
An dieser Stelle auch der Hinweis auf den Podcast “Commerce Ops”, hier auf der Website und überall dort wo es Podcast gibt. Ungefähr alle zwei Wochen gibt es eine neue Folge, gehostet von Katharina und mir. Anfangen werden wir mit kurzen Analysen auf Basis der Beiträge im Newsletter. Später werden Interviews hinzukommen. Wir begrüßen gerne neue Follower. 😄
Zum Inhalt:
Lieferflotten im E-Commerce - Hype oder sinnvoll?
Seit Dezember 2019 ist meine Frau stolze Besitzerin eines Peloton, genau jenes interaktives Fitnessrad. Ich fand das Geschäftsmodell und die Unit Economics von Anfang an faszinierend, sie dass man darauf Sport machen kann. Fünf Tage nach Kaufabschluss stand das Sportgerät wie vereinbart in unserer Wohnung.
Und hier fängt die heutige (Logistik-)Geschichte an.
Das Peloton Bike wiegt über 40kg, ist sperrig und muss richtig aufgebaut werden. Dies könnte der Beginn einer Logistik-Horrorstory sein, war es aber nicht: ein grauer Van fuhr zur angekündigten Zeit vor, zwei freundliche junge Männer stellten sich vor und trugen die Teile des Rads in die Wohnung. Sie zogen die Schuhe aus, schlossen das Rad an, stellten alles ein und nahmen das Verpackungsmaterial mit. Rundum top, eine gute erste Erfahrung mit der Marke.
Warum kann das nicht immer so sein? Warum wurde das letzte sperrige Möbelstück - ein Grill - meiner Frau einfach vor der Tür abgestellt und erzeugte Frust?
Händler sind sich dieser Herausforderungen bewusst. Die Antwort mancher Anbieter scheint der Aufbau einer eigenen Lieferflotte zu sein.
Zuletzt kündigte HelloFresh den Aufbau von 600 Lieferwagen in den Niederlanden an. Amazon bestellt über 100.000 E-Transporter bei Rivian, einer Beteiligung des E-Commerce Giganten. Auch AO, Picnic und Flaschenpost setzen auf eigene Lieferflotten, Wayfair testet diesen Schritt in den USA aus.
Selbst der Premium-Möbelhändler Connox denkt über den Aufbau einer eigenen Auslieferung nach. CEO Thilo Haas sagte im Podcast mit Sven Rittau:
Wir werden wahrscheinlich im nächsten Jahr anfangen über eine Eigenauslieferung nachzudenken. Am Ende hängt dort genau der Pain beim Möbelhandel, bei der Auslieferung. [..] Der Möbelhandel wird geknackt, wenn man auch die letzte Meile bei sperrigen Sachen gut hinbekommt. Das schafft man mit den hiesigen Speditionen nicht.
Wann und für wen macht der Aufbau einer eigenen Lieferflotte Sinn? Was spricht dafür, was dagegen?
Vorteile einer eigenen Lieferflotte - Kontrolle über das Kundenerlebnis
(1) Besseres Kundenerlebnis: Wer eine eigene Flotte hat, kann das Kundenerlebnis von Start bis Auslieferung beim Kunden kontrollieren.
In meinen Stichproben werden Unternehmen mit eigener Auslieferung besonders häufig gelobt. AO.de ist bei TrustedShops mit 4,85 Sternen sehr positiv bewertet.
Gleiches gilt für Picnic. Auch Wayfair übernimmt zunehmend selber die Logistik - von Warehouses bis zur Auslieferung, wie in einem Artikel der New York Times beschrieben wird:
Mr. Williams and the others are employed by a third-party freight delivery firm, but Wayfair puts the drivers through extensive customer training, shows them how to handle fragile items and gives them bonuses for good customer feedback.
Durch verschiedene Inhousing-Maßnahmen ist Wayfair bei Auslieferungen schneller geworden und Schäden an Produkten in den Logistikzentren sind gesunken.
(2) Retouren verringern: Auf kleine Probleme beim Aufbau kann der Monteur direkt eingehen. Der ungeschickte Möbelkäufer wird als Problem eliminiert, was die Retourenquote reduziert. Dies ist gerade in der Möbelbranche ein massives Problem. Retouren sind teuer, eine Wiederverwertung schwer möglich.
(3) Loyalere Kunden: Kunden mit einem positiven ersten Kauferlebnis bestellen häufiger. Im Möbelhandel eine Möglichkeit die Kundenakquisitionskosten zu verringern und profitabel zu arbeiten.
Nachteile einer eigenen Lieferflotte - $$$
(1) Hohe Kosten: Wahrscheinlich der Hauptgrund wieso eine eigene Lieferflotte für die allermeisten außer Reichweite liegt: es ist zu teuer! Dazu Wayfair:
Wayfair is determined to compete on fulfillment speed and offers free shipping for almost any purchase over $50 on Wayfair.com, even for large items like furniture, but transportation and logistics could be a major drag on margins. Shah said $0.20 of every dollar of revenue goes toward combined inbound and outbound transportation and logistics, combining supplier and Wayfair spend.
(2) Hohe Komplexität: E-Commerce ist komplex genug, das effiziente Managen einer eigenen Endkunden-Logistik bringt noch einmal Komplexität on top. Routenplanung, passende Wagen, passende Software, Wartung, etc. - ein langer Rattenschwanz. Picnic entwarf sogar eigene Autos - sehr süß -, da bestehende elektrische Transporter ihre Anforderungen nicht erfüllten.
(3) Personalmangel: DHL, Hermes, Flaschenpost - alle sind auf der Suche nach Fahrern, in Deutschland inzwischen eine der größten Herausforderungen der Branche. Dazu der (ehemalige) Hermes-Chef im Interview mit dem Handelsblatt 2018:
Als größtes Problem und mögliche Bremse für das Wachstum hat Rausch jedoch den Arbeitsmarkt identifiziert. Es seien kaum noch Paketfahrer zu finden. „Wir müssen das Berufsbild verbessern“, sagte der Deutschland-Chef.
Framework - für wen macht eine eigene Flotte Sinn?
Nach einer Aufnahme von Für und Wider ist die spannende Frage: für wen ist eine eigene Auslieferung relevant. Ich breche den Entscheidungsprozess auf (a) Eigenschaften der ausgelieferten Güter und (b) Nebenbedingungen herunter.
Die Eigenschaften sind wahrscheinlich selbsterklärend
Zeitkritisch: Es ist wichtig, dass bei der Auslieferung der Kunde angetroffen wird und die Lieferung in einem vordefinierten Zeitfenster ankommt. Das ist z.B. bei Medikamenten oder Lebensmitteln der Fall. Das Steak kann schlecht im Sommer stundenlang auf der Terrasse warten.
Sperrig & Hochpreisig: Bei hochpreisigen Produkten ist die Erwartungshaltung des Kunden höher, insbesondere wenn es sich um ein sperriges Produkt handelt. Das teure Sofa soll eben nicht auf der Bordsteinkante abgestellt werden.
Die oben genannten Eigenschaften sind notwendig, aber nicht hinreichend. Es gibt zwei Nebenbedingungen:
Regionale Hotspots: Ich glaube, dass es - abseits von Amazon - schwer möglich ist, neben den etablierten Logistikern (DHL, Hermes, DPD, GLS, UPS, Fedex) eine nationale Auslieferungsflotte aufzubauen. Das notwendige Investment sind für die meisten neue Unternehmen zu hoch. Flotten für Auslieferungen in regionale Hotspots halte ich für wahrscheinlicher möglich und sehe eine begrenzte Anzahl von regionalen Hotspots als Nebenbedingung an.
Hohes Budget: Die Komplexität beim Aufbau einer Lieferflotte habe ich aufgezeigt, dazu kommen hohe Vorab-Kosten. Beispiel: Der StreetScooter der Post, ein kleines, elektrisches Auslieferungsfahrzeug, kostet mind. 40.000€. Eine kleine Flotte wird mind. aus 10 Fahrzeugen bestehen. Dazu kommen Kosten für regionale Warehouses und Personal. Kosten von mind. 600.000 EUR je Hotspot scheinen am unteren Ende der Skala.
Um ein Gefühl über die Größe von regionalen Lieferflotten von bestehenden Marktteilnehmern zu geben: Picnic verfügt inzwischen über 800 eigene Wagen in 70 Standorten, durchschnittlich 11 Wagen je Standort. Für Flaschenpost sind in Münster 80 Ford Transit Custom unterwegs, in Köln sogar über 150.
Framework in der Praxis: Ikea mit eigener Lieferflotte
Ich möchte dieses Framework an zwei Beispielen durchspielen: Connox & Ikea.
Bei Connox halte ich es für unwahrscheinlich, dass ernsthaft eine eigene Flotte aufgebaut wird. Vielleicht sehen wir wenige Wagen für ausgesuchte Produkte in ausgesuchten Regionen, aber wahrscheinlich nicht eine umfangreiche Flotte für ganz Deutschland. Die Eigenschaften “Sperrig & Hochpreisig” trifft auf Premiummöbel zu. Allerdings sehe ich nicht den regionalen Fokus und glaube, dass es für ein Unternehmen der Größe von Connox schwer sein wird, die Investition von >0,5 Mio. € je Stadt zu tätigen.
Bei Ikea erwarte ich innerhalb der nächsten zwei Jahre den Aufbau einer eigenen Auslieferungsflotte. Aussagen von Ikea-CEO Jesper Brodin deuten in diese Richtung. Im Interview mit Fast Company sagte er:
The second part is about bringing ourselves closer to customers. We were always [set] on our concept of big-box [retail locations], and the way you interacted with us was the way we decided it should be. And the result has been market share of approximately 10% in most places. There is an opportunity there, and it is about being accessible, and we do that in three ways: We are investing like never before in digital, so we can have a conversation with you—not only be transactional—how can we provide that home furnishing knowledge through digital interfaces. The second thing is services [such as] home deliveries and assembling furniture. And the third is about how do we bring ourselves closer to people in city centers.
In Hammersmith wurde eine Filiale im Miniformat eröffnet, in zentraler Innenstadtlage in London. Das Neue am Konzept: das gesamte Sortiment kann gekauft werden, aber nur Zubehör & Kleinkram können direkt mitgenommen werden. Der Rest wird noch am selben Tag nach Hause geliefert.
Ikea erfüllt alle Kriterien: (a) große, sperrige Ware, (b) das notwendige Budget und (c) regionale Hotspots mit den neuen Filialen, nämlich in zentraler Lage in Metropol-Regionen.
Fazit: En vogue, bleibt aber eine Ausnahme
Es bleibt also spannend in der Logistik, v.a. in der City-Logistik. Nach der Betrachtung bin ich mir sicher: eigene Lieferflotten werden eine Ausnahme bleiben, auch wenn sie aktuell “en vogue” sind. Es gibt zu wenige Anwendungsfälle, die eine eigene Logistik rechtfertigen. Und zu wenige Unternehmen, die diese Investition stemmen können.
Leseempfehlung: ”Held oder König” aus der BrandEins
Ein schöner Artikel in der BrandEins aus Oktober 2019 über zwei stationäre Einzelhandelskonzepte im Spielwaren-Bereich.
Kleine Händler, die Lego verkaufen, jedoch aus sehr unterschiedlichen Richtungen gestartet sind. Der eine über einen YouTube-Channel, der andere mit stationären Läden in Einkaufszentren. Online ist keiner aktiv, der Markt ist zu kompetitiv.
Man glaubt es mir nicht, aber ich habe ein Herz für solche Konzept. Es zeigt, dass man auch in umkämpften Märkten (zumindest im kleinen) erfolgreich sein kann, indem man anders denkt. Lesenswerter Artikel!
Wenn Dir den Newsletter gefällt, leite ihn gerne an Freunde und Kollegen weiter. Tägliche News gibt es wie üblich auf Twitter oder LinkedIn.
Danke für den Support und einen tollen Tag!