Ein Plädoyer für mehr Nerds im Marketing
Die shopping24 internet group, mein Arbeitgeber, erweiterte 2014 das Sortiment der Produktsuchmaschine von 3 Million auf 60 Millionen. Um die neuen Produkte gut im Suchmaschinen-Marketing zu bewerben, sollte das Performance Marketing die Anzahl der relevanten Keywords massiv erhöhen – und zwar ohne das Team massiv zu vergrößern. Heißt: mehr Effizienz und mehr Automatisierung.
Eine Lösung heißt Godzilla – ein Tool, welches SEA-Keywords semantisch versteht, in eine feingranulare Struktur einbucht, Anzeigentexte schreibt und alles über eine API hochlädt. shopping24 kann heute mehr als 50.000 Keywords pro Stunde verarbeiten. Der Account ist stark gewachsen.
Aber: können heißt nicht gut können. Technisch 10 Millionen Keywords buchen zu können, heißt nicht automatisch, dass ein Performance Marketing Team 10 Millionen Keywords gut verwalten kann. shopping24 musste viele Prozesse überdenken.
In dem Beitrag geht es darum, wie man ein Performance Marketing Team aufbaut, welches Automatisierung als Chance begreift, Veränderungen annimmt und neu denkt, was Performance Marketing in einer tech-getriebenen Welt heißt. Ein Team von Marketing Nerds!
Performance Marketing Teams ohne Tech-Verständis sind bestenfalls mittelmäßig
Performance Marketing ist komplexer als vor 5 Jahren. Und es macht mehr Spaß!
Kanäle: Heute gibt es viele verschiedene Marketingkanäle und Endgeräte. Die Marketing-Landkarte wächst rasend: SEA, Facebook, Content Marketing, Affiliate Marketing und viele mehr. Jeder Kanal bietet mehr Einstellungsmöglichkeiten als jemals zuvor, z.B. Targeting für spezifische Zielgruppen. Die Geschwindigkeit mit der Google AdWords neue Features veröffentlicht, rechtfertigt alleine eine Vollzeitstelle zum Experimentieren. Mehr Werbefläche – z.B. Out of Home oder TV Werbung – wird digital zugänglich und über Schnittstellen technisch ansprechbar sein. Werbeflächen, die früher großen Unternehmen mit Millionenbudgets vorbehalten waren. Das sind gute Nachrichten für kleine Unternehmen mit einem Technologie-Verständnis.
Endgeräte: Die guten, einfachen Desktop-Zeiten sind vorbei. „Mobile First“ ist das neue Stichwort. Aber bei Smartphones & Co. hört es nicht auf. Sprachgesteuerte Endgeräte wie Amazon Echo oder Google Home sind auf dem Vormarsch. Facebook promotet auf der F8 Konferenz Virtual Reality als aufstrebendes Device der Zukunft. Internet of Things, Autos und Smart TVs komplettieren die neuen Endgeräte-Vielfalt. Früher oder später werden auch diese Endgeräte irgendeine Form von Marketing und transaktionalen Geschäftsmodellen erlauben.
Daten: Der moderne Konsument ist „always on“ und hinterlässt eine Datenspur aus Interessen, Markenpräferenzen oder eine Kaufhistorie. Informationen, die Marketeers brauchen um bessere, relevantere Werbung auszuspielen. Aber: Daten alleine haben keinen Wert, Erkenntnisse haben Wert. Daten müssen segmentiert und analysiert werden (können), um darauf basierend Entscheidungen zu treffen.
Die Geschwindigkeit der Veränderung wird sich weiter beschleunigen. Alexander Graf sagt:
„Im E-Commerce zählt heute vor allem direkter Kundenzugang und eine schnelle Umsetzungsgeschwindigkeit.“
Umsetzungsgeschwindigkeit hängt vor allem vom Team und den verwendeten Technologien ab. Performance Marketing Teams ohne technisches Verständnis sind bestenfalls mittelmäßig. Sie können nicht die Geschwindigkeit der Veränderungen mitgehen und die steigende Komplexität meistern.
Reaktives Arbeiten durch Automatisierung ist effizienter
Soweit die Theorie. In der Praxis haben viele Unternehmen Probleme sich an die neue Welt anzupassen. Klassisches Performance Marketing ist bei den meisten Unternehmen noch ein sehr manueller Prozess. Wie soll das in einer sich schnell wandelnden Digitalwelt funktionieren?
Nehmen wir Suchmaschinen-Marketing als Beispiel. Die Grundfunktionen sind einfach: der Nutzer gibt eine Suchanfrage ein. Relevante Anzeigen werden auf der Seite gezeigt. Sechs Schritte sind notwendig, um eine Anzeige live zu stellen.
Keyword auswählen – in diesem Beispiel Kleider.
Entscheiden an welcher Stelle im Adwords-Account das Keywords gebucht werden soll. AdWords ist wie eine Ordnerstruktur aufgebaut. Jedes Keyword muss in diese Struktur eingeordnet werden.
Eine Zielseite definieren – also die Seite auf der ein Nutzer landet, wenn er auf die Anzeige klickt.
Einen Anzeigentext schreiben. Er kommuniziert dem Nutzer, was ihn auf der Zielseite erwartet.
Ein Maximalgebot für das Keyword setzen. Jeder Werbeplatz wird nach einem Auktionsverfahren vergeben. Ist das Gebot zu gering, wird die Anzeige nicht gezeigt; ist es zu hoch, verliere ich Geld.
Einstellung wie Budget, Geo-Location, etc. eingeben.
Dieser manuelle Prozess funktioniert super für 100 Keywords. Vielleicht auch für 1000. Aber denken wir groß: wir zielen auf 10 Millionen relevante Keywords im Account.
Keywords mit viel Traffic und guten Leistungswerten können gerne manuell gepflegt werden. Aber: es gibt nur eine begrenzte Anzahl dieser Winner-Keywords. Sie sind hart umkämpft und damit teuer. Die allermeisten Keywords werden wenig bis gar keinen Umsatz machen. Der Wert eines Keywords ohne Umsatz ist null! Blöd nur, dass diese Loser-Keywords vorab kaum zu erkennen sind.
Es macht keinen Sinn, dass sich ein Marketeer proaktiv um jedes Keyword kümmert. In vielen Marketing-Abteilungen passiert aber genau das: es wird vorab viel Zeit in Keywords gesteckt, die später keinen Umsatz machen.
Ich möchte eine reaktive Art zu arbeiten, nicht proaktive. Ich möchte, dass eine Maschine die langweilige, sich wiederholende, wenig wertbringende Arbeit macht. Menschen verbessern die Arbeit der Maschine – und zwar reaktiv und nur an den Stellen, wo es Sinn macht.
Aufstieg der Marketing Nerds
Weiterhin müssen Marketing Teams ihre Daten beherrschen. Insights verstecken sich oft in den Daten. Sie sind nicht offensichtlich. Insights warten im Schatten darauf von einer smarten Person entdeckt zu werden: dem Marketing Nerd!
In den 80er Jahren hatten Nerds eine harte Zeit. Die Spezies der Nerds wurde als „geeky, hyper-intelligent und sozial inkompatibel“ dargestellt. Heute regieren Nerds die Welt. Bill Gates, Prototyp eines Nerds, wurde zum reichsten Menschen der Welt. Die Hoodie tragende Elite um Mark Zuckerberg oder Larry Page folgte. Die fünf wertvollsten Unternehmen der Welt sind heute: Apple, Google, Facebook, Amazon & Microsoft. Pech gehabt, ExxonMobile.
Um Marketing-Initiativen auf das nächste Level zu bringen, sollten Marketeers ihren inneren Nerd mobilisieren. Daten und Automatisierung sind Trumpf.
Viele Unternehmen nutzen andere Ansätze: (a) Sie ignorieren Daten komplett. Diese Unternehmen werden verschwinden! (b) Sie vertrauen „digital Experten“ – aka Datenanalysten – Daten zu analysieren und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Der Ansatz ist deutlich besser als (a).
Nur: diese Experten haben selten einen Marketing-Hintergrund. Analysten können Korrelationen in Daten finden, aber Kausalitäten verpassen. Der Unterschied ist wichtig. Schaut den Graphen an: es gibt eine 99% Korrelation zwischen den Ausgaben für Wissenschaft und Selbstmorden in den USA, aber eine Kausalität ist unwahrscheinlich. Gleiches gilt für viele Zahlen im Marketing.
Jemand anderes sollte den Lead im tech-getriebenen Marketing übernehmen. Jemand der gleichzeitig im Marketing und in der digitalen Welt zuhause ist. Jemand, der aus großen Datenmengen (#BigData) Erkenntnisse sammelt und Datensilos aufbricht: der Marketing Nerd!
Ein Marketing Nerd hat die folgenden Persönlichkeits-Merkmale, ohne darauf beschränkt zu sein.
Marketing Nerds testen gerne neue Techniken und Technologien. „Einfach machen“ ist für sie die beste Art zu lernen. Sie lieben Experimente und A/B-Tests.
Marketing Nerds haben keine Angst vor Algorithmen und Marketing-Automatisierung. Sie haben ein Talent für Programmierung, nicht auf einem professionellen Level, aber gut genug um „Abkürzungen zu coden“.
Marketing Nerds lieben es neue Dinge zu erfinden. Mit clever kombinierter Software – dem digitalen Äquivalent zu Panzertape – und ein wenig Phantasie, ist fast alles erreichbar.
Marketing Nerds schätzen Fakten über Meinungen. Es ist nicht so, dass sie keine Meinung haben. Im Gegenteil. Bloß: Fakten sind besser.
Ein Team von Marketing Nerds bei shopping24
Wahrscheinlich braucht jedes Digitalunternehmen Marketing Nerds. Die shopping24 internet group, mein Arbeitgeber, brauchte sie aber noch mehr mehr als andere Unternehmen.
shopping24 betreibt spezialisierte Produktsuchen in Deutschland. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen: das Geschäftsmodell funktioniert nur über Skalierung. Wir haben 60 Millionen Produkte, die im Online-Marketing bestmöglich beworben werden. Pro Woche 200.000 neue Produkte und damit Tausende neue Keywords von Hand einpflegen funktioniert einfach nicht. Wir brauchen Marketing Nerds um Prozesse zu automatisieren und Daten zu interpretieren.
2014 sah das Performance Marketing Team wie folgt aus: vier Performance Marketing Mitarbeiter und Praktikanten. Zwei für SEA, einen für Affiliate und einen für Facebook. Keiner hatten einen technischen Hintergrund – weder Datenbankwissen noch Programmierkenntnisse. Für das Bauen von kleinen „Helferlein“ musste das Performance Marketing auf Operations (OPS) zugeben, ein Team welches interne Tools entwickelt. Performance Marketing stellte die Aufgabe, Operations setzte um – leider ohne das „Warum“ voll zu verstehen. Ein sicherer Weg um Projekte scheitern zu lassen.
Ein Beispiel: Performance Marketing benötigte ein Skript, was neue Keywords basierend auf Entitäten erstellt, z.B. über die Kombination von Markennamen mit Kategorien. 25.000 Marken mal 18.000 Kategorien ergibt 450 Mio. Keywords. Problem gelöst? Natürlich nicht! 99% dieser Keywords machten keinen Sinn. Hat jemand schon von „Esprit Staubsaugern“ oder „Weber Raftingbooten“ gehört? Diese Keywords verschmutzen nur den Account ohne Wert und Umsatz zu bringen.
Mit einem besseren Marketing-Verständnis auf OPS-Seite und einem besseren Verständnis von verfügbaren Datenquelle auf Marketing-Seite hätten wir eine bessere Lösung erarbeitet.
Heute schaut das Performance Marketing bei shopping24 anders aus. Wir sind ein Team von 10 Personen und Praktikanten. Es heißt nicht mehr Performance Marketing, sondern Marketing Operations. Wir haben Teams zusammengeführt: klassisches Performance Marketing, Onsite-Suche, Artikeldaten-Management und BI – alles von Traffic-Akquise über Zielseiten der Marketing-Kampagnen bis zur Auswertung im Data Warehouse. Das Team besteht aus drei Performance Marketing-Personen, 4 Entwicklern und 3 Daten-Menschen. Acht dieser Personen haben rudimentäre Programmierkenntnisse.
Das Arbeiten ändert sich deutlich
Durch das Zusammenlegen der Teams verbesserte sich die Kommunikation und der Wissenstransfer zwischen den Teams. Wir haben eine höhere Entwicklungsgeschwindigkeit, sind unabhängiger von anderen Teams und arbeiten agiler.
Zudem geht das Team Marketing Operations heute Probleme anders an. Ich muss große Probleme in kleine Schritte runterbrechen können, um Prozesse zu automatisieren. Jeder Schritt muss deterministisch sein.
„Ich nehme die beste Keyword aus dem AdWords-Account.“
wird zu
„Ich nehme die Keywords, die in den letzten 30 Tagen am meisten gewachsen sind mit einem Minimum von 100 Klicks pro Tag.“
Die zweite Aussage kann ich automatisieren, die erste nicht. Das Überdenken von Prozessen auf diese Art und Weise ist anstrengend und zeitraubend, gibt aber gleichzeitig ein besseres Verständnis dafür was ich wirklich mache.
Mit dem Mindset eines Marketing Nerd und dem Runterbrechen von Prozessen wird Entwicklung zielgerichteter. Mit Programmierkenntnissen können neue Features „gehackt“ werden – bevor sie „sauber“ entwickelt werden. Bei shopping24 kombinieren wir im Suchmaschinen-Marketing z.B. AdWords Scripts, Excel und kleine Skripte. Bewährt sich das rudimentäre Feature in der Praxis, wird es in die „echten“ SEA-Automatisierungstool eingebaut. Ein klassisches MVP (minimal viable product)-Vorgehen aus der Entwicklung, welches ich in der Online-Marketing Welt aber zu wenig sehe.
Ein Beispiel: Für das Buchen von neuen Keywords lege ich einen maximalen CPC fest, teile also meine maximale Zahlungsbereitschaft mit. Ein Bid Management System passt Gebote abhängig von deren Performance und der Zielfunktion nach oben oder unten an. Um den passenden CPC zu berechnen, brauche ich Daten. Diese sammele ich in den ersten Tagen – und das kann teuer sein. Je näher ich mit meinem Startgebot am optimalen Gebot bin, desto günstiger wird meine Lernphase. Wie kann ich also möglichst gut einen Start-CPC berechnen?
shopping24 berechnet die Start-CPCs automatisch. (Übrigens eine Funktion, die kaum ein kommerzielles Tool am Markt anbietet. Warum eigentlich?) Die Idee ist basierend auf semantischen Ähnlichkeiten und den verfügbaren Produkten auf der Zielseite die Conversion Rate und den Return per Click vorherzusagen. Das war die zweite Idee. Die erste scheiterte grandios und wir haben viele Entwicklungsressourcen verschwendet. Diesmal gehen wir anders ran: Wir basteln einen semi-automatischen Prozess und testen ihn in der Praxis.
Schritt 1: Mit einem Ruby-Script Informationen aus einer JSON-API und der Datenbank ziehen, Bids in Excel berechnen, in mehrere CSV exportieren und dann via grafische Oberfläche einzeln in sehr, sehr viele Konten hochladen. Zeit für einen Durchlauf: 5h. Ergebnisse der Datenauswertung nach einer Woche Live-Betrieb: macht Sinn.
Schritt 2: Mit einem Ruby-Script Informationen aus einer JSON-API und der Datenbank ziehen, Bids in Excel berechnen, in eine CSV exportieren und via AdWords-Scripts automatisch in sehr, sehr viele Konten hochladen. Dauer für einen Durchlauf: 45min. Ergebnisse der Datenauswertung nach einer weiteren Woche Live-Betrieb: macht immer noch Sinn.
Schritt 3: Das SEA-Automatisierungsteam baut den Vorgang in unsere Tools als Feature ein. Dauer für einen Durchlauf: 1min.
MVP-Vorgehen ist auch im Performance Marketing sinnvoll: wir kommen schneller und effizienter zum Ziel.
Fazit
Performance Marketing wird zunehmend komplexer – und das sind gute Nachrichten für Performance Marketing Teams mit technischen Skills. Sie haben einen Vorteil gegenüber der Konkurrenz.
Bei shopping24 konnten wir Prozesse automatisieren und wurden dadurch effizienter. Wir haben ein Team von Marketing Nerds aufgebaut und ihnen die richtigen Werkzeuge an die Hand gegeben.
Die Arbeit macht mehr Spaß. Ein Widerspruch? Nein! Ihr verbringt jeden Tag weniger Zeit mit manueller Handarbeit, dem langweilen Teil der Arbeit. Dadurch bleibt mehr Zeit für Projekte, die ein Team wirklich nach vorne bringen – für das Testen und Lernen von neuen Features, neuen Herangehensweisen, neuen Kanälen, etc. Also kreative Arbeit, die das kleine Köpfchen zum Schwitzen bringt – und mehr Spaß macht.
Und nun: Besorgt Euch Marketing Nerds. Testet, lernt und automatisiert!