Lesara und Niedrigpreis-Strategien im Modehandel
„Competition is for losers“, schreibt Peter Thiel. In seinem Buch „Zero to One: Notes on Startups, Or How to build the future“ erklärt er, wie intensiver Wettbewerb Margen aus einer Branche zieht. Sein Negativ-Beispiel sind US Airlines. In 2012 haben Airlines an einem durchschnittlichen Ticket für $178 nur $0,37 verdient. Eine Rohmarge von 0,2%. Nicht viel. Und die Luftfahrtbranche ist nicht alleine: Lebensmittel, Textil, Consumer Electronic – diese Märkte funktionieren in Deutschland primär über den Preis.
Viele Strategen würden Peter Thiel zustimmen: Reine Preis-Positionierungen sind sehr selten empfehlenswert. Das Problem mit günstige Preisen und übertriebenen Rabattaktionen: Kunden werden konditioniert ihre Käufe nur vom Preis abhängig zu machen. Oder auf die nächste Rabatt-Aktion zu warten. Die Bindung entsteht also nicht zum Unternehmen, sondern zum Preis des Artikels.
Hermann Simon, der Erfinder der BahnCard, fasst im Artikel „Von Aldi und Ikea lernen“ zusammen:
Niedrige Preise und hohe Profite treten nur selten gemeinsam auf. Diese Kombination ergibt sich nämlich nur dann, wenn ein Unternehmen einen klaren, erheblichen und nachhaltigen Kostenvorteil gegenüber seinen Konkurrenten besitzt.
Und was ist heutzutage ein „erheblicher und nachhaltiger Kostenvorteil“? Ist aktuell günstiges Sourcing in Asien ein nachhaltiger Kostenvorteil? Wahrscheinlich nicht. Günstiges Sourcing ist für einen Wettbewerber einfacher aufzubauen als eine loyale Basis von Stammkunden – und damit langfristig günstigere Kundenakquisitionskosten.
Vor diesem Hintergrund möchte ich heute einen Blick auf Niedrigpreis-Strategien im Modebereich werfen. Konkret am Beispiel von Lesara. Lesara ist aktuell eines der gehyptesten Unternehmen im Fashion E-Commerce. Sinn oder Irrsinn?
Vorstellung – was ist Lesara?
Lesara sieht sich als digitaler Vorreiter im Bereich Fast Fashion. Gründer Roman Kirsch erklärt gegenüber dem Tagesspiegel:
Für Lesara haben wir uns angeschaut, was in den vergangenen Jahren die größte Innovation im Offlinehandel war. Das waren ganz klar die Themen Fast Fashion und Fast Retailing. Modeunternehmen wie H&M oder New Yorker waren sehr erfolgreich damit, Trends offline zu erkennen und dann in die Geschäfte zu bringen. Dabei waren sie schneller als teure Marken.“
Das Team hat das Prinzip auf den Online-Handel angewendet und wächst damit aktuell stark. Grafisch aufbereitet schaut das so aus.
Gehen wir einmal entlang der Kette vor und schauen auf die einzelnen Stationen:
Sortiment
„Wir finden international die besten Trends für Dich“ ist eine Umschreibung für „Wir crawlen verschiedene Quellen und schauen uns die Verkäufe auf anderen Plattformen an. Dann entscheidet ein Algorithmen, welche Produkte wir produzieren.“ Im Gegensatz zu anderen Modeshops wird bei Lesara auf Store-Checks vor Ort verzichtet. Durch eine Orientierung an den Verkäufen von anderen Plattformen (Zalando, Amazon, OTTO, etc.), kann Lesara das Bestandsrisiko senken. Produziert werden nur Muster, Schnitte, Farben, bei denen sich Verkäufer relativ sicher sein können, dass auch Nachfrage besteht. Ich mag den Ansatz.
Sourcing
Produziert werden die Produkte in Fernostasien – branchenüblich halt. Lesara produziert in kleinen Mengen, testet die Produkte auf der Plattform und ordert bei Erfolg nach. Das Bestandsrisiko durch vorfinanzierte Produkte ist gering.
Das Unternehmen arbeitet mit wenigen Fabriken zusammen, die sich im Reverse-Auktionsverfahren um die Bestellung bewerben. Der Preisdruck wird in der Produktionskette weitergegeben. Spannend am Thema: Zwischen dem Screening, der Kreation von Schnittmustern und dem Abschluss der Produktion vergehen meist weniger als zwei Wochen.
Fragwürdig am Thema ist, wie bei einem solchen Zeitdruck Qualität sowie soziale und ökologische Mindeststandards eingehalten werden sollen. Irgendetwas fällt runter, wenn am Ende ein niedriger Preis rauskommen soll. Roman weist (zurecht) darauf hin, dass dies kein reines Problem von Lesara ist. Es ist ein Problem der Gesamtmodebranche – vom Discounter KiK bis zu etablierten Marken. Trotzdem nimmt es Lesara nicht aus der Pflicht hier nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen.
Marketing
Viele großen Mode-Onlineshops sind über Performance Marketing groß geworden. Bei einem Modell „Lesara“, was ein Kleid für 20€ verkauft, funktioniert kein CPO von 20€. Klassische Kanäle wie SEA sind damit herausfordernd. Denn: um das Keyword „Kleid“ oder „Kleid günstig“ gibt es trotzdem einen hohen Wettbewerb.
Lesara ist gezwungen andere Werbekanäle zu finden. Auf der K5 beschrieb Roman Kirsch die Wahl der Werbeplätze als „low price, low perceived quality“. Ergo: Banner auf Gaming-Seiten, etc. Als Ansatz auf jeden Fall nachvollziehbar. Spannend wird wie gut Lesara Bestandskunden aktivieren kann. Dafür spräche ein hoher direkter Traffic-Anteil. Dieser ist aktuell bei Lesara noch nicht zu erkennen. Der Traffic-Mix schaut für einen Shop klassisch aus: mit ca. 60% gekauftem Traffic. Marketing – bleibt wohl eine große Herausforderung.
Operations
Schaut man sich Kundenerfahrungen im Netz an, so kommen bei Nutzern Lieferzeiten, Retourenhandling und Kundenservice schlecht weg.
Entscheidend für meine Bewertung ist weniger die absolute Bewertung, sondern die Relation zu Wettbewerbern wie bonprix oder kik.de. Hier gibt es noch Nachholbedarf. Allerdings kann man einer jungen Firma mit sehr hohem Wachstum nicht erwarten, dass alles von Start perfekt klappt. Ich vermute die Operations-Probleme werden in den Griff zu kriegen sein.
Einschätzung und Ausblick
Entlang der Wertschöpfungskette hat Lesara überall spannende Ansätze, v.a. im Bereich Sortiment und Sourcing. Sind dies nachhaltige Wettbewerbsvorteile? Glaube ich nicht.
Mit einer besseren Verfügbarkeit von Daten sowie Anbietern wie Edited wird das Wissen über Wettbewerber-Verkäufe einfacher zugreifbar. Sourcing wird mit einer weiteren Öffnung des chinesischen Marktes für westliche Firmen (wahrscheinlich) noch einfacher.
Und damit bleibt bei Lesara das Größenspiel: schafft es das Unternehmen schnell genug auf so große Umsatz- und Kundenzahlen zu kommen, dass Skalenvorteile greifen und das Modell über Bestandskunden wachsen kann? Kein sexy Ausblick.
Aber bei allen Herausforderungen dieser Niedrigpreis-Strategie: ich habe eine Sympathie für Unternehmen, die in diesem Umfeld ambitioniert arbeiten. Warum? Durch die engen Margen sind Mitarbeiter des Unternehmens gezwungen bei der Prozessgestaltung kreativ zu sein. Der „übliche“ Weg funktioniert oft nicht. Er ist kostenseitig nicht abbildbar. Und wer weiß: vielleicht ergibt sich aus diesen kreativen Prozessen über die Zeit in Summe genau der Wettbewerbsvorteil, den Lesara braucht.
Update: Ergänzend die Diskussion zum Beitrag auf Facebook. Dank an Mark Steier.