Don’t be a platform’s bitch
Im letzten Beitrag habe ich das Dilemma der Verlage betrachtet: Werbeerlöse brechen weg, weshalb Visits von anonymen Nutzern an Wert verlieren. Alternative Erlösströme setzen allerdings eine direkte Kundenbeziehung voraus. Diese hält im Fall der Medien eine Plattform: sei es Facebook, Twitter oder Google. Viele Verlage stellen fest: wir können nicht ohne die Plattformen – „platform’s bitch“ ist aber keine nachhaltige Positionierung.
Dieses Szenario sollte vielen Herstellern (und auch Händlern) im E-Commerce bekannt vorkommen. Die Plattform heißt Amazon. Das Abhängigkeitsverhältnis ist nicht mit dem der Medien vergleichbar – noch nicht. Amazon wird zunehmend die erste Anlaufstelle für die Produktsuche. Je mehr dieser Trend anhält, desto eher werden Hersteller von Produkten zu der Plattform aus Seattle getrieben.
Der Kanal Amazon kommt in wahrscheinlich jeder Vertriebsstrategie vor, und das zurecht. Sei es über den Aufbau von reinen „Amazon-Marken“ oder den Vertrieb der Produkte über die Plattform – als Seller oder Vendor. Diese Strategie verspricht schnelle Umsatzsprünge – immerhin wächst Amazon bei einem weltweiten Umsatz von über 170 Mrd. USD mit über 20%.
Langfristig wird eine starke Fokussierung auf den Kanal Amazon zum Medien-Dilemma führen. Als Hersteller möchte ich nie in die Position kommen, dass Änderungen im Such-Algorithmus von Amazon zu einer Gefahr für das Unternehmen werden. Und das wird kein theoretischer Fall bleiben!
Zwei Artikel – einer aus Deutschland, einer aus den USA – zeigen die Schattenseiten der Amazon-Welt.
Goki – Rote Hummer bei Amazon
Der Zeit-Artikel aus Dez. 2017 beschreibt die Erfahrungen des Spielzeug-Herstellers Goki. Gollnest & Kiesel ist Hersteller von Holzspielzeug aus Norddeutschland. Mit „Spielzeug, dass zum Meer passt“ steigt das Unternehmen aus Wilhelmshaven zu einem der drei größten Hersteller in Europa. Der aktuelle Beststeller ist Rüdiger, ein roter Hummer.
2011 startete Goki die Zusammenarbeit mit Amazon. Anfangs erfolgreich, dann kam Wattsand in das Getriebe. Gerhard Gollnest, Geschäftsführer von Goki, sagt im Interview:
Amazon füttert die Hersteller an. Bis es plötzlich hohe zusätzliche Rabattprozente fordert. Die meisten können zu dem Zeitpunkt nicht mehr ablehnen. Da kommen irrwitzige Konditionen auf den Tisch. Außerdem zieht Amazon nach Gutsherrenart ständig kleine Beträge ab, ohne nachvollziehbare Begründung.
Im Laufe des Gesprächs wird deutlich, dass der 61-Jährige kein Fan des Onlinehandels ist, sich stattdessen eine Rückkehr der stationären Fachhändler wünscht. Allerdings aus wirtschaftlich und strategischen Gründen:
Goki begann, sich gegen die ständigen Abzüge zu wehren. Mal hieß es von Amazon, die Ware sei nicht vollständig geliefert worden, vier Wochen nach der Lieferung zog Amazon den angeblichen Mangel einfach von der Rechnung ab. Dann hieß es, Artikel seien angeblich nicht richtig verpackt gewesen, selbst nachdem Goki im Lager extra das Vier-Augen-Prinzip einführte und doppelt so viel Personal beschäftigte, um alles genau zu kontrollieren. Wenn ein Lkw-Fahrer das knappe Zeitfenster an der Laderampe des Amazon-Lagers verpasste, gab es ebenfalls Strafen. Dazu berechnete Amazon ungewöhnlich viele Retouren, die Goki nicht zu sehen bekam. Die Ware landete stattdessen bei Dritthändlern, die sie zu Ramschpreisen weiterverkauften.
Von ähnlichen Praktiken berichten auch andere Händler. Von Knebelverträgen ist die Rede, die mit partnerschaftlicher Arbeit nichts zu tun hat. Von Amazon gab es keine konkrete Stellungnahme zu den Vorwürfen.
Goki beendete vor 2 Jahren die Zusammenarbeit mit Amazon. Eine Belieferung hat sich durch die Abzüge wirtschaftliche nicht mehr gelohnt. Das Unternehmen hat die Trennung von Amazon gut verkraftet. Bei der Gründung versprachen sich die beiden Gründer, dass niemals ein einzelner Händler mehr als 3% des Umsatzes von Goki ausmachen dürfe. Um unabhängig zu bleiben.
Diese Entscheidung zeugte von Weitsicht. Viele Hersteller machen heute weit über 20% ihres Umsatzes mit Amazon. Ein Rückzug von der dominierenden E-Commerce Plattform wäre kaum möglich. Eine strategische Sackgasse. Selbst Chaltec, eine Marke die über Amazon groß geworden ist, probiert seine Marken abseits Amazon zu etablieren. Mit eigenem Shop und allem, was dazu gehört.
Amazon = Markt
The Nation betrachtet im Artikel „Amazon doesn’t want to dominate the market – it wants to become the market“ das System Amazon auf einer makroökonomischen Ebene.
Amazon dominiert den E-Commerce im US-Markt, mehr nach als in Europa. Große Gegenspieler wie OTTO oder Zalando fehlen. 55% der Nutzer starten ihre Produktsuche direkt bei Amazon, die Hälfte des US-Shopping Traffic geht über Amazon. Die relevante Produktauswahl ist diejenige, die sich im Amazon-Suchergebnis findet.
Das musste auch der Laufladen Gazelle-Sports feststellen. Er galt als stationärer Vorzeige-Händler, veranstaltete Events und wurde von Kunden für die gute Beratung gelobt. Geholfen hat es nicht. Kunden blieben aus, Gazelle wurde als Seller auf Amazon aktiv. Kurzzeitig hat diese Maßnahme die Umsätze stabilisiert. Allerdings musste Gazelle-Sports lernen, wie hart der Kampf um die Buy-Box ist: Der Kampf mit anderen Händlern, vor allem aber mit Amazon selber.
To succeed, sellers need to “win the buy-box”—that is, be chosen by Amazon’s algorithms as the default seller for a product. But according to ProPublica, “about three-quarters of the time, Amazon placed its own products and those of companies that pay for its [warehousing and shipping] services in that position even when there were substantially cheaper offers available from others.” As more third-party sellers have agreed to sign up for these services, Amazon has repeatedly raised its fees, with fulfillment fees rising this year by as much as 14 percent for standard-size items (and more for oversize goods), on top of similar increases in 2017.
Das Amazon kein einfacher Händler ist, sollte inzwischen allen klar sein – spätestens mit dem Aufstieg von AWS, dem Ausbau der Logistik und den Prime-Angeboten. Amazon möchte die Infrastruktur für den gesamten Handel werden. Produktauswahl, Transaktionen, Logistik, Finanzierung, Dienstleistungen, Endgeräte – Amazon agiert als Plattform und gibt die Rahmenbedingungen vor.
Als Betreiber der Infrastruktur hat Amazon zwei Vorteile: (a) sie können die eigenen Produkte und Services in der Handels-Pipeline bevorzugen und (b) sie diktieren die Regeln, unter denen andere Händler Zugang zu dieser Pipeline haben. The Nation fasst die Konsequenz zusammen:
In other words, it’s moving us away from a democratic political economy, in which commerce takes place in open markets governed by public rules, and toward a future in which the exchange of goods occurs in a private arena governed by Amazon.
Unternehmen, die in der Vergangenheit Märkte ähnlich dominierten wurden zerschlagen. Eine Dominanz von wenigen Plattformen mit einer hohen Machtfülle behindert Innovationen. Der Artikel zeigt umfassend die gesellschaftlichen Konsequenzen, wenn der Markt von einem Gatekeeper bestimmt wird. Lesenswert!
Ausblick
Ich bin und war ein Amazon-Fanboy. Ich bewundere, mit welcher Weitsicht und Geschwindigkeit Amazon eine globale Handelsinfrastruktur aufgebaut hat. Ich möchte aber nicht in einer Welt leben, in der Amazon DER Handel ist. Spannend wird die Frage, ob der Markt die Amazon Dominanz brechen kann, oder ob irgendwann die Politik aktiv wird. So wie sie es bei Microsoft und IBM wurde.
Hersteller sollte sich das Dilemma der Medienhäuser genau anschauen und ihre Schlüsse ziehen. Es geht nicht ohne Amazon, aber eine reine Abhängigkeit von einer Plattform ist keine gute Option. Wohl dem Hersteller, der in der Lage ist, seinen Umsatz so gut auf verschiedene Vertriebskanäle zu verteilen wie Goki. Don’t be a platform’s bitch.